Matthias Heise und Philipp Schüller


Freies Kreativteam für diverse Werbeagenturen, z.B: Fernsehspots für Snowboard-WM / Kreischberg 2003
Wenn in einem Boot alle auf einer Seite sitzen, kentert es. Offenbar braucht es zur Erhaltung der Norm immer ein paar Menschen, die bereit sind, sie zu brechen und sich auf die andere Seite zu setzen. Auch wir bewegen uns außerhalb der Norm und teilen diese Selbstsicht wahrscheinlich mit 93 Prozent der Bevölkerung.

Foto: Aleksandra Pawloff

Andrea Heistinger

Vorstandsmitglied von Arche Noah,
Verein zur Erhaltung und Verbreitung der Kulturpflanzenvielfalt
In jedem Supermarkt gilt: Eine Tomate ist hellrot und rund, eine Gurke lang und gerade, und der Paprika wird im genormten Rot-Gelb-Grün-Trio verkauft. Die Norm wird vorgegeben von den notwendigen Transport- und Vermarktungsstrukturen sowie von den maschinellen Anforderungen im Anbau. Der genormte Geschmack dieser Gemüse ist der Antigeschmack.
Das Durchsetzen dieser genormten Vorstellungen hat beinahe zum Verschwinden vieler Sorten, die aus dieser Norm fallen, geführt. Arche Noah ist, wenn sie so wollen, ein Netzwerk hortikultureller Normbrecher. Eine Tomate darf gelb-grün gestreift sein, eine Karotte lila und Melanzane kirschrot. Das Saatgut dieser Sorten tauschen die Mitglieder untereinander aus. In einem neuen Vermarktungsprojekt wird in Kooperation mit Bio-Bauern und Gastronomen daran gearbeitet, diese Sortenraritäten jenseits der Norm auch auf die Teller der Nicht-Gartenbesitzer zu bringen.

Foto: Aleksandra Pawloff

Helmut Seethaler

Zettelpoet
Ich kann mit Norm nicht leben. Ich bezeichne mich als abseits der Norm im positiven Sinne. Ich bin auch nie in eine Norm eingestiegen, wollte immer weg von Norm. Mein Ziel ist es, andere auf die negativen Folgen des Normalseins aufmerksam zu machen. Norm heißt fad. Und gefährlich. Mit Menschen, die in einer Norm leben, kann man machen, was man will. Sie können in jedem System bestehen. Sich in einer Norm zu befinden, heißt auch, ohne eigene Werte zu sein.

Foto: Aleksandra Pawloff

Marianne Springer-Kremser

Psychoanalytikerin und Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie
Laut Lexikon bedeutet Norm so etwas wie Leitlinie oder Richtschnur. Unterschieden wird zwischen Ideal-Normen und Durchschnittsnormen. Letztere werden von einer Mehrzahl von Personen geteilt. Idealisierende Normen sind immer ein Unglück, denn ein Ideal ist dadurch definiert, dass es unerreichbar ist, zum Beispiel die Vorstellung von Mütterlichkeit. Die Psychoanalyse hat die Bedeutung von subjektiven Normen erkannt, die grundsätzlich sehr wichtig sind. Wir alle bewegen uns auf einem Kontinuum zwischen Normalität und Pathologie. Wichtig ist hierbei zu erwähnen, dass niemand nur total verrückt oder nur total normal ist.

Foto: Aleksandra Pawloff

Wolf D. Prix

Architekt, Coop Himmelb(l)au
Normen sind regulative Grenzen.
Aber: Nur wer grenzüberschreitend denkt, wird den Raum begreifen können, der außerhalb der Norm-alität zu finden ist. Diesen Erfinder kann man Architekt nennen. Allerdings sollte man die Regeln kennen, die man zu brechen gedenkt. Denn nur der Dilettant kennt keine Furcht.

Foto: Aleksandra Pawloff

Norbert Siegl

Projektmanager am Institut für Graffiti-Forschung
Wo es Menschen gibt, gibt es Graffiti - insofern sind diese unreglementierten Mitteilungen an den Wänden und Mauern in großen Städten international die Regel und nicht die Ausnahme. Besonders viele Graffiti findet man in politischen Krisenregionen, und man kann sie als Indikatoren für Bedürfnisse und Meinungen der Bewohner ansehen. Bei offiziellen Stellen sind Graffiti selten beliebt - meist stehen die Forderungen in radikaler Opposition zum Mainstream, also zur Norm. Viele Graffiti-Schaffende, vor allem Jugendliche sind mit hohen Schadensersatzforderungen konfrontiert. Manche, höher entwickelten Pieces schafften es aber sogar, als künstlerisch eigenständige Ausdrucksform Anerkennung zu finden, und Stadtverwaltungen stellten dafür legale Wände zur Verfügung. Der große Gewinner ist freilich die Farbenindustrie, aber auch so manche Putzkolonne und Sonderkommission der Polizei verdankt Graffiti ihre Existenz. (DER STANDARD/rondo/Michael Hausenblas/21/02/2003)
Fotos: pawloff.com

Foto: Aleksandra Pawloff