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Es kam, sah und siegte. Das Epstein-Barr-Virus (EBV) ist ein Gewinnertyp. Pessimistische Schätzungen gehen davon aus, dass es mindestens 90 Prozent der Menschheit infiziert hat, kein anderes Virus kann eine solche Erfolgsbilanz für sich verbuchen. Doch EBV bleibt bescheiden. Nur selten sorgt es für tumultartiges Aufsehen, wie etwa sein Genosse HIV. Dabei kann es ebenfalls verschiedene Erkrankungen und sogar Krebs auslösen.

Befällt meist bereits Kinder

"EBV gehört zu den Herpes-Viren und befällt meist bereits Kinder", sagt Hans Wolf, führender EBV-Experte am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene in Regensburg. Als Tröpfcheninfektion schwirrt es durch die Atemluft, klebt an Türgriffen oder Tastaturen. Doch außer Abgeschlagenheit richtet der Eindringling in diesem Alter nichts weiter an.

Taucht ab, ohne sich auszubreiten

Einmal eingeatmet, dringt es durch die Rachen- und Lungenschleimhaut bis ins Blut und besetzt dort eine Gruppe weißer Blutkörperchen, die sogenannten B-Zellen. Sie gehören zum Abwehrsystem und bilden Antikörper, die im Blut umherschwimmen und alles angreifen, das sie als fremd deuten. Und genau dort versucht sich das Epstein-Barr-Virus zu vermehren.

"Meistens gelingt ihm das nicht lange", erzählt Wolf, "denn schon nach kurzer Zeit finden sich seine Spuren an den Zellen, und sie werden von anderen Abwehrzellen vernichtet." Um nicht gänzlich kaltgemacht zu werden, taucht EBV schließlich ab. Es versteckt sich, ohne sich weiter auszubreiten, in Gedächtnis-B-Zellen.


Gefahrenpotenzial

Je älter der Mensch jedoch zum Zeitpunkt der Infektion ist, desto gefährlicher wird EBV. Jugendliche etwa trifft das Pfeiffer'sche Drüsenfieber, eine Erkrankung, die für verdickte Lymphknoten, Fieber und Erschöpfung über zwei Wochen sorgt. Dabei vermehren sich die Viren im Körper rapide, und das Abwehrsystem muss alle Waffen einsetzen, um sich zu wehren. "Man kann auch sagen, dass es sich um eine Überreaktion des Immunsystems handelt", so Wolf.

Geschwächtes Imunsystem

Funktioniert die Körperabwehr jedoch nicht richtig, kann das Drüsenfieber auch schwerere Verläufe nehmen. "Ein geschwächtes Abwehrsystem ist meistens der Grund dafür, dass EBV zu schlimmeren Krankheiten führt", sagt Wolf. Auch zu Krebs. AIDS-Patienten, die noch keine abgestimmten Therapien erhielten, erkrankten frü- her häufig an EBV-verursachtem B-Zell-Krebs. Auch für transplantierte Menschen ist EBV ein großes Problem, da ihr Immunsystem dauerhaft unterdrückt werden muss.

EBV programmiert Zellen um

Wie das Epstein-Barr-Virus die B-Zellen entarten lässt, fanden der Genetiker Arnd Kieser und sein Team vom Helmholz-Zentrum München erst vor einigen Monaten heraus: Es programmiert die Zellen regelrecht um. "Es trickst die Zelle aus und vermittelt ihr, sich weiter zu teilen und nicht mehr abzusterben", sagt Kieser (siehe Interview). Obwohl EBV für eine ganze Reihe von Krebsarten verantwortlich ist, scheint sich das Prinzip immer zu gleichen.

Verbindung zu Multipler Sklerose

Noch eine in Europa weit verbreitete Erkrankung wird immer wieder mit EBV in Verbindung gebracht: Multiple Sklerose (MS), eine Autoimmunkrankheit, bei der die Schutzschicht der Nervenleitungen von eigenen Abwehrzellen zerstört wird. Sie äußert sich zunächst in Seh- und Gefühlsstörungen, auch Lähmungen, kann aber zu bleibenden Behinderungen führen.


Kein direkter Verursacher

"Tatsächlich gibt es immer wieder eine Verbindung zwischen EBV und MS", sagt Thomas Berger, Leiter der Arbeitsgruppe Neuroimmunologie und Multiple Sklerose an der Neurologischen Uni-Klinik Innsbruck. "Als direkten Verursacher kann man es aber inzwischen ausschließen", fügt er hinzu.

Zwei Therapiestudien

Dafür verbreitet sich unter MS-Experten eine andere Theorie. Jahrelang, so Berger, sei man davon ausgegangen, dass MS eine reine T-Zell-Erkrankung sei. T-Zellen gehören dem Zerstörerkommando des Körpers an. Erst in der jüngsten Zeit sind die B-Zellen wieder in den Mittelpunkt gerückt. "Viele MS-Patienten weisen in der Hirnhaut B-Zell-Nester auf, die lange überleben", sagt Berger.

Sie könnten früher von EBV aktiviert worden sein und damit die chronische Entzündung aufrechterhalten, die für MS so charakteristisch ist. Derzeit laufen zwei Therapiestudien, die auf die B-Zellen abzielen.

Virus in den Griff bekommen

Dabei gibt es schon Mittel, das Virus selbst in den Griff zu bekommen. "Allerdings versagen sie oft nach kurzer Zeit in ihre Wirkung", sagt der Genetiker Kieser. Er arbeitet an Strategien, EBV an seiner unheilvollen Wirkung zu hindern. Auch eine Impfung gegen EBV liegt in den Schubladen der Pharmaindustrie. Entwickelt hat sie der EBV-Experte Hans Wolf. "Sie ist vor allem für afrikanische Kinder, die häufig an Blutkrebs erkranken, und für Asiaten", sagt er. (Edda Grabar, MEDSTANDARD, Printausgabe, 10.08.2008)