Polens Präsident Lech Kaczyñski beschuldigt Paris und Berlin, in ihren Vermittlungen im Georgien-Krieg zu nachgiebig gegenüber Russland zu sein. In einem am Samstag veröffentlichten Interview in der konservativen Tageszeitung Rzeczpospolita wirft er dem französischen Präsident Nicolas Sarkozy und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel vor, alle wichtigen Entscheidungen in der EU-Außenpolitik zu treffen, ohne zuvor die osteuropäischen EU-Staaten wie Polen zu konsultieren. Dabei hätten diese Staaten in Zeiten des Kalten Krieges am meisten unter Moskau gelitten. Für sie stehe nun am meisten auf dem Spiel. Kaczyñski hatte nur wenige Tage nach Ausbruch des Georgien-Krieges eine Solidaritätsreise organisiert. Zusammen mit den Präsidenten der drei baltischen Republiken und der Ukraine flog er nach Tiflis und rief den dort mit Kerzen wartenden 70.000 Georgiern zu: „Wir sind gekommen, um den Kampf aufzunehmen!"
Rückkehr des Imperialismus
Russland habe erneut sein wahres Gesicht gezeigt und sei zur aggressiv-imperialistischen Politik vergangener Tage zurückgekehrt. Die ganze Welt müsse nun Moskau Einhalt gebieten, denn sonst sei als Nächstes die Ukraine dran, dann die baltischen Staaten und schließlich Polen. Der Rzeczpospolita gegenüber bekannte Kaczyñski, dass er einen neuen „Block" osteuropäischer Länder zu gründen gedenke, der unter Leitung Warschaus künftig in der EU die Russland-Politik bestimmen solle.
Von Sarkozy, den er vor seiner Tiflis-Reise angerufen habe, sei er enttäuscht. Denn der derzeitige EU-Ratsvorsitzender habe die osteuropäischen EU-Länder sowie die Ukraine nicht in seine Vermittlungsbemühungen zwischen Georgien und Russland einbeziehen wollen. Als Sarkozy aus Moskau nach Tiflis kam, um Saakaschwili den EU-Waffenstillstandsplan zu präsentieren, habe er ihm auch gleich gesagt, dass der Plan nichts tauge. Die Unantastbarkeit der Grenzen Georgiens müsse von Moskau garantiert werden.
„Es ist lächerlich, von einer gemeinsamen Politik der Union gegenüber Moskau zu sprechen", meinte Kaczyñski. „Wenn ich heute innerhalb der EU eine Politik betreibe, die mir viel Kritik einbringt, dann nur deshalb, um eine Situation zu beenden, in der immer nur die Franzosen und Deutschen die wichtigsten Entscheidungen in der EU treffen." Diese beiden Länder hätten aus historischen Gründen ein spezifisches Verhältnis zu Russland, aber immer auch die Interessen großer Korporationen im Auge. „Sie denken, in Russland großes Geld machen zu können."
Vergleich mit Westpommern
Kaczyñski würde genauso handeln wie Saakaschwili, wenn beispielsweise Separatisten im (früher deutschen) Westpommern einen Staat im Staate gründen und plötzlich - mit Waffen aus dem Nachbarland - auf Polen schießen würden. „Die polnische Armee erwidert dann das Feuer. Denn was soll man tun in so einer Situation? Das tolerieren oder angreifen?" (Gabriele Lesser aus Warschau, DER STANDARD, Printausgabe, 18.8.2008)