Bild nicht mehr verfügbar.

Dirigent Franz Welser-Möst über sein Cleveland Orchestra: "Da ist diese unglaubliche Detailverliebtheit, dieser innere Zwang zur Perfektion. Da spürt man noch immer die Arbeit von George Szell."

Zur Person: Der Linzer Franz Welser-Möst (geb. 1960) war Chef des London Philharmonic Orchestra und Musikdirektor am Opernhaus Zürich. Er ist Chef des Cleveland Orchestra und ab 2010 Generalmusikdirektor an der Wiener Staatsoper.

Foto: AP

Ljubisa Tosic sprach mit Welser-Möst über den Eintritt in das "Revier" der Wiener Philharmoniker.

Standard: Als designierter Generalmusikdirektor der Staatsoper haben Sie ja jetzt schon eine intensive Beziehung zu den Philharmonikern. Nun aber kommen Sie mit Ihrem Cleveland Orchester nach Salzburg und bieten auch Opern, wildern quasi in einer Bastion der Philharmoniker. Irgendwie pikant.

Welser-Möst: Ja, da bin ich in eine lustige Situation hineingeraten. Das war nicht so geplant, als mich Jürgen Flimm gefragt hat, war von dem Staatsopernjob noch keine Rede. Ich darf natürlich daran erinnern, dass auch schon früher andere Gastorchester in Salzburg Oper gemacht haben. Zudem haben die Wiener Philharmoniker den Vorteil, dass sie ein Opernorchester sind, was Cleveland nicht ist. Die fürchten sich also sicher nicht vor uns, und böse sind sie mir auch nicht, sonst würden sie an der Staatsoper mit mir nicht so spielen.

Standard: Ihre Beziehung zu den Philharmonikern entwickelt sich wohl durch die "Ring"-Produktion?

Welser-Möst: Ja, das ist wunderschön am Wachsen. Diesen 3. Akt bei der Siegfried-Premiere - das spielt den Wienern niemand nach. Damit sage ich nichts gegen Cleveland. Wenn Cleveland den Ring seit hundert Jahren spielen würde, immer wieder, wäre es auch möglich, das tun sie aber nicht. Da geht es um Traditionen, die kann man nicht über Nacht herstellen. Die gibt es auch in Cleveland. Dirigent George Szell ist schon sehr lange tot, und trotzdem spürt man immer noch seine Arbeit. Diese unglaubliche Detailverliebtheit, dieser innere Zwang zur Perfektion. Szell hat diese Manie gehabt, das kommt von ihm. Er hat einmal drei Wochen mit den New Yorker Philharmonikern gearbeitet, die Kritiken waren fantastisch. Dann hat man ihn gefragt, ob die New Yorker so gut seien wie Cleveland. Nein, hat Szell gemeint - das würde Jahre brauchen!

Standard: Szell hatte ja auch mit den Philharmoniker zu tun.

Welser-Möst: Deren Reaktionen waren aber vollkommen anders. Für die Wiener war er unangenehm, pedantisch. Die haben nie zueinander gefunden. Gewisse klangliche Dinge waren ihm einfach nicht wichtig. Im Klanglichen erreichen sie ja manches auch nur dadurch, dass es eben nicht ganz präzise ist. Es gibt etwa gewisse Akkorde, bei denen wird der Klang voll und dunkel, erst dadurch, dass die Kontrabässe - für das Publikum fast unhörbar - zu früh einsetzten.

Standard: Wenn Sie seinerzeit in Salzburg eine Position bekommen hätten, wären Sie dann auch an die Staatsoper gegangen?

Welser-Möst: Nein, das wäre unmöglich gewesen, und Cleveland hätte ich nie aufgegeben, da bin ich sehr glücklich. Auch diese Beziehung ist aber langsam gewachsen. Nachdem ich dort debütiert hatte, dachte ich, die würden mich nie wieder einladen. Bei mir sind Erstbegegnungen immer schwierig. Auch mit den Philharmonikern war es nicht leicht ...

Standard: ... und jetzt haben Sie sich in Wien darum mit zu kümmern, dass die Philharmoniker als Staatsoperorchester - sagen wir - etwas zufriedener werden.

Welser-Möst: Fakt ist, dass der jetzige Kollektivvertrag sehr alt ist und dass sich die Gehaltssituation des Staatsoperorchesters nicht entwickelt hat. Man ist etwa 30 Prozent unter den Münchner Operngehältern. Wir sind dran, die Identifizierung des Orchesters mit dem Haus, die natürlich nicht nur über, aber auch über Geld laufen kann, zu steigern. Es ist jedoch ein Geben und Nehmen, das wissen alle Beteiligten.

Standard: Die Zusammenarbeit mit Dominique Meyer funktioniert?

Welser-Möst: Es funktioniert reibungslos, er ist der Direktor. Es wurde ja herumgeredet, ich wäre der heimliche Chef und er der Administrator - Blödsinn! Meine Vertragsangelegenheit dauerte so lange, weil ich die Dinge ganz klar haben wollte. Die Verträge etwa unterschreibt er. Er kann aber nicht Ensemblemitglieder ohne meine Zustimmung engagieren. Ich werde nichts dirigieren, was ich nicht will. Aber ich wäre ja dumm, hier einen Egotrip zu starten. Was ist gut fürs Haus? Darum geht es. Und darüber reden wir. Ich habe auch nicht auf den Begriff Generalmusikdirektor bestanden, musste da eher lachen. Ich mache jedenfalls zwei Premieren pro Jahr und dirigiere auch Repertoireabende. Wir sind ja ein Repertoirehaus, dazu haben wir uns bekannt. So ein Haus definiert sich nicht nur über Sternstunden, sondern auch über den so genannten Durchschnitt. Da muss auch der Chef manchmal ran. Das wird vielleicht nicht grandios, aber wir heben das Niveau doch.

Standard: Sie haben in Salzburg auch ein Symposion über "Musik und Gehirn" initiiert.

Welser-Möst: Das machen wir zusammen mit der Cleveland Clinic - neben dem Orchester quasi das zweite Unternehmen der Stadt mit Weltgeltung. Die Clinic ist weltweit führend auf dem Gebiet der Gehirnforschung. Und es gibt da interessante Beiziehungen zur Musik. Wir wissen, dass, wenn bei Operationen klassische Musik erklingt, in der postoperativen Phase bis zu 30 Prozent weniger Medikamente genommen werden müssen. Das ist alles ungemein spannend. Auch um diese Themen wird es bei "Music and the Brain" am 16. August gehen.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16./17.8.2008)