Foto: Milena Verlag

Nora Kleins Alltag hält einige Überraschungen bereit, denn so wie sie sich durch ihr Leben bewegt, ist nicht viel im Voraus zu erahnen. Das Buch handelt vom Leben der selbstständigen Grafikerin Nora, die beruflich nirgends fix verbandelt ist, was ihr bei Zeiten große Löcher in ihr Budget reißt. Die Handlung in "Freischnorcheln" beschreibt mit Nora auch eine Generation, die zwar ihren Beruf gern und auch sehr gut ausübt, dennoch das Geld irgendwie nie ausreicht, denn so ernst nimmt frau/man das alles ja auch wieder nicht.

Sommerferien?

Alles beginnt im Sommer, den Nora aus Geldmangel arbeitend in der Stadt verbringen muss. Dennoch erinnert ihr Alltag oft an den eines Kindes, das gerade Schulferien hat, wegen drohender Zurückstufung aber immer wieder an den Schreibtisch muss. Dazwischen stiehlt sie sich an die Donau. Beinahe täglich schwingt sich Nora mit diesem Ziel auf ihr Rad, aber spätestens, wenn sie sich auf dem selbigen über KundInnen Gedanken macht, die sie jetzt nicht unbedingt treffen will, fällt man/frau wieder ein, dass es sich doch um eine erwachsene Frau handelt.

Widersprüche

Und sie hat noch einiges mehr an Widersprüchen zu bieten. Mit einem erstaunlichen Selbstverständnis macht sie alles, worauf sie Lust hat. Sie scheint sich auch alles zuzutrauen, dennoch reagiert sie in bestimmten Situationen blitzschnell mit einer derart kämpferischen Abwehrhaltung, die eineN letztlich an dieser Unbeschwertheit zweifeln lässt.
Nora scheint dann plötzlich an soziale Ordnungen erinnert, an die sie eigentlich nie bewusst denken will und von denen sie sich schon gar nicht in ihrem Handeln beeinflussen lassen möchte.
Warum auch? Nora Klein macht ohnehin alles selber, was soll sie sich noch um gesellschaftliche Strukturen scheren - sie hat genug zu tun. Die Frage, wie es dazu kommt, dass so manches partout nicht klappen will, stellt sie sich nur in einem selbstreferenziellen Rahmen.

Der erste Roman von Mieze Medusa erzählt vom Leben einer jungen Frau, die ständig so sehr mit sich und der Organisation ihres Lebens beschäftig ist, dass die LeserInnen oftmals nicht wissen: Ist das jetzt Freiheit oder ist es einfach die Hölle? Gerade diese Ungewissheit macht vielleicht die besondere Stimmung dieses Romans aus. Die Geschichte um die Berufsjugendliche Nora kommt zwar spaßig daher, die Anstrengungen aber, ihre Rolle als ihre eigene Chefin mit ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu verbinden, treiben auch der LeserIn einige Schweißperlen auf die Stirn.
Insgesamt ist es höchst spannend, Nora beim Lesen zu ergründen, die einer/einem manchmal verständnisloses Kopfschütteln entlockt, manchmal durch ihr Handeln eigene grundsätzliche Prinzipien anschubst oder ins Wanken bringt ohne einer/einem irgendeine Moral aufzudrücken. (beaha, dieStandard.at, 20.8.2008)

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Textprobe aus "Freischnorcheln"

Graumeliert und gar nicht grummelig

Schon den ganzen Sommer lang verwöhnt uns die Stadt mit Sonne; in meiner schattigen Altbauwohnung mit Hinterhofzimmerbüro hab ich leicht lachen. Ich arbeite - wenn man das Bestellen von Online-Katalogen Arbeit nennen kann - im morgendlichen Halbschatten, später gibt's Siesta, danach setze ich mich noch einmal an den Computer.
Herr Stromer hat immer noch kein Geld überwiesen, aber Stefanie Wort gehalten und mir ein bisschen Geld geliehen - genug, um mein Handy wieder mobil zu machen und ein paar Sachen zum Essen zu kaufen.
In der Nacht durchstreife ich meine Stadt auf dem Fahrrad, bei diesen Ausflügen gelingt es mir nur selten, den Altarm oder den Donaukanal unbebadet liegen zu lassen. Heute bin ich schon besonders lange unterwegs und werde von Ruhelosigkeit getrieben. Diesmal ist es nicht mein quengelndes Karma, diesmal bin ich es, die gerufen wird.

Ich bin hungrig, es ist fast Mitternacht. Essen zu gehen erlaubt mein Budget nicht, aber ein Drink geht sich aus. Ein teures Weinlokal verleitet mich dazu, es zu betreten. Ich sollte nicht, aber was soll´s.

Der Kellner ist nett. Trotzdem überfordert mich die Karte. Meine Weine teile ich in rot, weiß und rosé ein, Unterscheidungen wie Riesling oder Traminer lassen mich kalt. Hilfreich gemeinte Adjektive wie komplexes Rhabarberaroma reiben sich mit meiner Vorliebe für klare Linien und einer schnellen Interpretation zugängliche Aussagen. Also tue ich, was jeder Möchtegernweinkenner an meiner Stelle tun würde: Ich bestelle Rioja. Ein graumelierter Anzug-und-Krawatten-Träger stellt sich zu mir und bemerkt, dass die Farbe des in diesem Hause übrigens vorzüglichen Riojas perfekt zu meinem Kleid passen würde. Die Halterneckbikiniträger nimmt er mit offensichtlicher Freude zur Kenntnis. Die Haut zwischen Bikini und Hals treibt eine Schweißperle auf seine Nasenspitze. Ansonsten ist er ganz nett. Sein Anzug passt nicht zu meinen Haaren oder meinem Kleid. Sein Alter schon gar nicht. Aber wenn's ihn nicht geniert und er meinen Wein bezahlt ...    

Er heißt Frank. Ursprünglich hieß er wohl Franz, aber mit den Wohlstand ansammelnden Jahren hat er sich etwas Schickeres zugelegt, so wie er mittlerweile sukzessive seine Frauen verjüngt. Erfolg ist halt ein Jungbrunnen. Seinen Knigge gelernt habend, vergisst er nicht, mir gelegentlich eine Frage zu stellen. Aus einer Laune heraus antworte ich relativ ehrlich und amüsiere mich gar nicht schlecht.

Bei der nächsten Bestellung berät mich Frank mit einigem Fachwissen und empfiehlt, nachdem ich gegen seinen Willen auf einen Weißwein bestehe - Rotwein schläfert ein und färbt Lippen und Zähne -, einen Sauvignon Blanc. Nach einem Blick auf die Karte stimme ich zu. Ich wollte immer schon einen strohgelben Wein trinken und das sage ich Frank auch.

Der lacht und lässt mir zuliebe sogar die Augen blitzen, aber ich sollte nicht so misstrauisch sein, vielleicht hat er ja wirklich Spaß. Er beschließt mehr in mich zu investieren und bestellt eine Käseplatte für sich und eine Schale Erdbeeren für mich, wohl weil die Farbe wunderbar zu meinem Kleid passt oder weil er Pretty Woman gesehen und den Sauvignon Blanc mit Champagner, sich selbst mit Richard Gere verwechselt. Mich macht er so zu einer Nutte, aber das sind nur Feinheiten. Gegen meinen Willen erzähle ich immer mehr von mir. windwards kennt Frank, er segelt natürlich und hat die Gründung einer Themenzeitschrift in Österreich sehr begrüßt, wie er mir jetzt mit einem Verweis auf als Starthilfe gemeinte, von seiner Firma auf sein Betreiben hin getätigte Inserate erzählt. Das Logo gefällt ihm, sein gelegentliches Fernweh habe sich sofort angesprochen gefühlt und er ist beeindruckt, sagt er, von meiner Fähigkeit, mit wenigen Strichen ein Gefühl auszudrücken,
»Segeln Sie auch, Frau Klein?«
Ich verneine.
Er kann es kaum glauben, das müsste ich unbedingt nachholen, und er lädt mich zu einem Törn auf der Alten Donau ein. Ich bin beleidigt. Ein Ausflug zum Neusiedlersee hätte drin sein müssen.

Unser Geplänkel geht belanglos weiter und mein Karma fängt an zu brodeln. Langeweile ist ihm zuwider, glatte Fassaden und erste Dategespräche erträgt es nicht. Zweite Dates verhindern sich so meist quasi von selbst.

Frank erzählt von seiner Arbeit, vielleicht bezweifelt er seine Eloquenz in anderen Themen. Ich höre nicht besonders genau zu und sehne mich danach, dass was passiert. Frank, und das spricht für ihn, bemerkt meine versickernde Aufmerksamkeit. Er beschließt, dass es seine Interessen fördert, in meinen zu handeln und denkt sich wohl, was soll's, so schlecht kann die Kleine gar nicht sein. Er bietet mir jedenfalls eine Projektmitarbeit an. Die Details könne seine Sekretärin mit mir besprechen, meint er, nachdem er mir mit zwei geschickten Nebensätzen vermittelt hat, dass die Konditionen ausgezeichnet wären und sich ein Augenaufschlag meinerseits durchaus lohnen könnte.
Ich schweige eine Minute lang, gefolgt von einem tiefen Blick in Franks graublaue Augen. »Ich frequentiere Lokale nicht mit professionellen Absichten. Trotzdem danke für das belanglose Geplauder und den strohgelben Wein.«

Ich stehe auf und will gehen. Mein Karma klopft sich auf die Schenkel, es hat eine ehrliche Freude an meinem Abgang. Der Kellner tut so, als hätte er nicht zugehört. Frank greift nach meiner Hand und versucht mich fest zu halten. Überraschend herbeigeführter Körperkontakt löst bei mir Reflexe aus. Ich weiß das, mein Karma weiß das, meine Freunde wissen das, selbst Britta hat so etwas geahnt. Frank weiß und ahnt es nicht.
Mein großräumiges Abwehrmanöver verfehlt ihn nur knapp und versetzt die Wasserkaraffe an den Tischrand, dort taumelt sie in Richtung Abgrund und Franks Anzughose. Der springt auf - agil ist er - das muss man ihm lassen. Glas splittert.
»Finden Sie nicht, dass Sie überreagieren?« fragt Frank leise und nähert sich mir, einen Greifarm vorgestreckt und das für gut aussehende Verrückte reservierte unverbindliche Lächeln auf den Lippen. »Ich lerne Sie kennen und finde Sie interessant. Ich will gern mehr von Ihnen wissen, warum soll ich Ihnen also kein Projekt anbieten?«
»Ja, ja, und die Arbeitstreffen finden in ihrer Nussschale an der Alten Donau statt oder wie?« werfe ich ein. Meine Arme schlenkern unruhig. Meine Hormone beraten sich mit meinem Fluchtinstinkt. Sie kommen zu keinem Entschluss und verschanzen sich mit meinem Karma in einer Konklave. Zweidrittelmehrheit zeichnet sich weit und breit keine ab, jede Menge schwarzer Rauch stellt sich zwischen mich und meine klare Sicht und aus meinem körpereigenen Beraterstab dringt keine Information nach draußen. Mit meiner Entscheidung stehe ich ziemlich alleine da.
»Ich gebe ja zu, Sie gefallen mir. Warum auch nicht? Sie sehen gut aus, sind intelligent und talentiert«, bauchpinselt Frank in der Zwischenzeit gekonnt. »Die mir bekannten Arbeitsproben finde ich zufriedenstellend und mit unbürokratischen Mitteln kann ich meiner Firma und mir eine Ressourcen verzehrende Suche nach einem Projektmitarbeiter ersparen. Daran ist nichts unlauter«, verteidigt er sich selbstgerecht, wenn auch plausibel, wären da nicht die Erdbeeren auf dem Tisch und ein Kratzen in seiner Stimme. Meine Lippen und Wangen brennen. Abgekanzelt wie ein Schulmädchen verweise ich ihn trotzig an meine Agentur. »Nora«, versucht Frank die Situation zu retten, »bleiben Sie doch noch auf ein Glas.«

Vielleicht sollte ich bleiben. Vielleicht täusche ich mich in Frank. Womöglich hab ich aber Recht mit meiner Paranoia vor Berührungen. Ich stelle fest, es ist mir egal. Der Abend ist sowieso gelaufen. Ich nehme mir drei Erdbeeren und verschwinde. Ich kann nicht anders, ich bin immer noch hungrig.