Es ist schon erstaunlich, was im Wahlkampf alles möglich ist. Mit marktschreierisch vorgetragenen Vorschlägen lässt insbesondere Wilhelm Molterer aufhorchen, seit er sich zum Spitzenkandidaten der ÖVP ausgerufen hat. Dass er auch Finanzminister ist, hat er anscheinend so kurz vor dem Urnengang schlicht vergessen. Immerhin 550 Millionen Euro will die Partei des Finanzministers für ihr "Antiteuerungspaket" lockermachen. Noch dazu stehen die meisten Vorschläge im Programm jener Regierung, die der ÖVP-Chef hat platzen lassen.
Molterers jüngste Volte ist der Vorschlag, dass es eine 13. Familienbeihilfe geben soll. Noch im April wollte die ÖVP von einer Erhöhung der Familienbeihilfe nichts wissen. Die Begründung: Das nütze auch kinderreichen Ausländerfamilien.

Jetzt, ein paar Wochen vor dem Urnengang, will die ÖVP weder von ihrer Weigerung noch von ihren damaligen Argumenten etwas wissen und stilisiert diese Anhebung sogar zur Koalitionsbedingung. Als die SPÖ zu Wochenbeginn aber anbot, dies noch vor der Wahl zu beschließen, gab es einen Rückzug mittels Junktimierung: Es müsse auch ein Gratiskindergartenjahr dabei sein.

Das war Molterers nächster Umfaller: Im Juli 2007 lehnte die ÖVP eine SPÖ-Forderung nach einem verpflichtenden Kindergartenjahr vor Schulbeginn ab. Dabei handle es sich um eine "sozialistische Zwangsmaßnahme" . Wegen des ÖVP-Widerstands wurde dann nur eine Pflicht für Kinder mit Sprachproblemen daraus. Jetzt ist dieses Kindergartenjahr plötzlich eine ÖVP-Bedingung.

Die Begründung von Molterer, die ÖVP sei in Sachen Kindergarten "klüger" geworden, richtet sich von selbst. Diese Klugheit ist offenbar auch in Sachen Pflege über die ÖVP ganz plötzlich hereingebrochen. Dabei ist noch allen Wolfgang Schüssels Ausspruch im Ohr: "Es gibt keinen Pflegenotstand." Das war vor der Wahl 2006. So schnell ändern sich die Zeiten.

Noch nicht vergessen ist die wiederkehrende Warnung des Finanzministers, dass es nichts auf Pump geben dürfe. Wahlzuckerln kosten dann doch etwas, aber nur zu viel soll es nicht sein. Lieber den Kreis der potenziellen Nutznießer einengen. Dass für die Betreuung der Kinder vor der Einschulung Eltern oft tief in die Tasche greifen müssen, während der Schulbesuch gratis ist, dürfte sich bis zur Volkspartei noch nicht herumgesprochen haben - ganz abgesehen davon, dass Mechanismen aus dem Gehaltsbereich nicht auf Transferleistungen übertragen werden sollten.

Überhaupt muss an der wirtschaftspolitischen Kompetenz eines Politikers gezweifelt werden, der allen Ernstes behauptet, es sei eine AUA-Privatisierung mit "bis zu hundert Prozent österreichischer Kernstruktur möglich" . Nicht einmal Raiffeisen hat sich bisher bereiterklärt, seinen Anteil an den Austrian Airlines aufzustocken. Andere potenzielle Investoren, die den patriotischen Vorstellungen gerecht werden, haben gleich abgewunken.
Es ist nur dem Wahltag zuzuschreiben, dass Molterer jetzt einem "Österreich-Ticket" zustimmt, das die ÖBB seit langem vorbereitet. Bisher wollte der Finanzminister dafür nichts zahlen.

Mit teuren Lockangeboten will die ÖVP kaschieren, dass sie zwar die Neuwahlen ausgerufen hat, aber schlecht darauf vorbereitet war. Der Zugkraft ihres spröden Spitzenkandidaten vertraut die ÖVP so wenig, dass sie ihn bisher auf Plakaten nicht gezeigt hat. Dabei wollte die ÖVP mit ihrem Spitzenkandidaten auf Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit setzen: Molterer ist dabei, das mit seinen Umfallern zu verspielen. (Alexandra Föderl-Schmid/DER STANDARD, Printausgabe, 14.8.2008)