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Die schweren Kämpfe in der georgischen Stadt Gori dauerten am Dienstagnachmittag noch an. Allein aus Gori sollen bereits 56.000 Menschen geflohen sein.

Foto: Getty Images/Burak Kara

"Im Moment" , so sagt Tamar Khurtsia, "hat niemand Zeit, sich über Saakaschwili Gedanken zu machen. Alle denken jetzt nur an Putin." Die Abrechnung der Georgier mit ihrem Präsidenten, der sie in das Chaos gestürzt hat, scheint noch weit. Vier Tage nach Michail Saakaschwilis Entscheidung, Zchinwali, die Hauptstadt der südossetischen Separatistenprovinz, anzugreifen, demonstrieren die Menschen in Tiflis Geschlossenheit. Tausende kamen am Dienstag vor dem Parlament am Rustaweli Boulevard zusammen, schwenkten die weißen Flaggen mit den roten georgischen Kreuzen und protestierten gegen die russische Invasion im Land, die läuft, obwohl Russlands Präsident Dmitri Medwedew doch ihr Ende verkündet hatte.

Hilfe vom Ausland erwarteten sich die Menschen jetzt, sagt Khurtsia, eine Studentin, die nebenbei für die Georgian Business Week arbeitet. Und wütend seien die Menschen. "Es geht nicht nur um Georgien, es kann auch jedes andere Land treffen, auch in Europa."

"Terrorkampagne"

Auch Michail Saakaschwili geht demonstrativ an die Öffentlichkeit wie die Demonstranten vor dem Parlament. Er hält seine Pressekonferenz an diesem Tag im Freien vor dem neuen Präsidentenpalast ab, eine Karte Georgiens hinter ihm. Darauf zeigt der Staatschef, wo die russische Armee angeblich weiter vordringt und Bomben abwirft auf Dörfer außerhalb der südossetischen Konfliktzone. Saakaschwili spricht von einer "Terrorkampagne" der Russen gegen die georgische Zivilbevölkerung und von "ethnischer Säuberung" .

Noch am Tag zuvor, als er in Gori zusammen mit dem französischen Außenminister Bernard Kouchner die Zerstörungen durch die russische Armee besichtigen wollte, brach seine Leibgarde den Besuch ab, drückte den Präsidenten auf den Boden und breitete ein Schutzschild über ihm aus. Am Dienstag zeigt sich Saakaschwili sicherer.

Diffuse Meldungen waren in der Nacht kursiert, angsteinflößende Berichte über die Einnahme der Stadt Gori unweit der südossetischen Provinz durch die russische Armee, gar über einen Marsch der Russen auf die knapp 70 Kilometer entfernte Hauptstadt. Saakaschwili bremste dann selbst die PR-Kampagne seiner Regierung.

Gegen Mitternacht versuchte er die Bevölkerung zu beruhigen. Es bestünde keine unmittelbare Gefahr, sagte der 40-Jährige, im Gesicht deutlich abgemagert durch die dauernde Anspannung der letzten Tage, vielleicht auch belastet durch das Bewusstsein, mit dem Angriff auf Südossetien eine katastrophale Fehlentscheidung getroffen zu haben.

Mindestens 12.000 russische Soldaten, viele von ihnen außerhalb der Separatistenprovinzen Abchasien und Südossetien, sollen nun nach Angaben der Regierung in Tiflis im Land stehen. Die Russen halten den Hafen von Poti am Schwarzen Meer besetzt, Georgiens bedeutendsten Umschlagplatz für Öl, Maschinen und Lebensmittel und im Übrigen auch die wichtigste Versorgungsstation für Armenien. 100 Zivilisten hätte die russische Armee bei der Einnahme des Hafens getötet, behauptet die Regierung.

Tiflis: Massaker an Georgiern

Die meisten der in Südossetien lebenden Georgier sollen in ein Lager bei Kurta, einem Dorf in der Separatistenprovinz, gebracht oder umgebracht worden sein. Russische Bomber hätten auch die BTC-Ölpipeline (Baku-Tiflis-Ceyhan) nahe der Industriestadt Rustawi ins Visier genommen, aber knapp verfehlt.

"Georgien wird niemals aufgeben" , ruft aber Saakaschwili aus und klopft mit einem Zeigestab auf die Karte des Landes. "Wir kommen zurück" , verspricht er und meint damit den bisherigen wirtschaftlichen Aufstieg seines Landes und die hohe Zahl an Auslandsinvestitionen. Und einen Schlussstrich zieht der Präsident: Georgien werde aus der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) austreten, dem Zusammenschluss der meisten früheren Sowjetrepubliken, in den Georgien nach den Separatistenkriegen Anfang der 90er-Jahre durch den damaligen Präsidenten Boris Jelzin gedrängt worden war.

Am fünften Tag des Kriegs schlägt auch die UNO Alarm. "Die Zahl der Menschen, die Hilfe benötigen, steigt stündlich" , sagte die für Georgien zuständige Direktorin des UN-Welternährungsprogramms (WFP), Lola Castro, in Tiflis der deutschen Nachrichtenagentur dpa. Mehrere tausend Menschen hätten sich aus den umkämpften Provinzen in die Hauptstadt durchgeschlagen. "Wir haben heute Nahrungsmittel für bis zu 4500 Menschen verteilt, die vertrieben wurden", sagte Castro.

Die am stärksten umkämpfte georgische Stadt Gori sei bald menschenleer, meldete das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR). Fast 80 Prozent der Einwohner hätten die Stadt fluchtartig verlassen. Dies entspreche rund 56.000 Menschen, die nun entweder auf dem Weg nach Tiflis seien oder zwischen den Frontlinien umherirrten. (Markus Bernath/Mascha Dabić/DER STANDARD, Printausgabe, 13.8.2008)