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Die Philosophin Anne Siegetsleitner beschäftigt sich mit Moral, Ethik und Werten.

Anne Siegetsleitner wollte Dingen und Verhältnissen schon früh auf den Grund gehen. Die Sehnsucht nach grundlegenden Fragen brachte sie zum Studium der Philosophie in Salzburg, Kalifornien und der Schweiz. Heute forscht und lehrt Siegesleitner am Fachbereich Philosophie der Kultur- und Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg.

In Jena lehrte sie 2002 bis 2006 angewandte Ethik und beschäftigte sich mit "Würde in der Gentechnologie", aber auch mit Moritz Schlick, dem bekanntesten Vertreter des Wiener Kreises. Auf einer Zugfahrt zur Jenaer Universität fragte sie ein Fahrgast in Anspielung auf die dort ansässigen Firmen Carl Zeiss und Jenoptik, ob sie Objektive entwerfe. Darauf antwortete sie: "Nein, Sichtweisen!"

Nach ihrer Dissertation über E-Mail im Internet und Rechte auf Privatheit beschäftigt sie sich in ihrem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Elise-Richter-Projekt seit 2007 wieder mit dem Wiener Kreis. Diese Gruppe von Philosophen und Wissenschaftstheoretikern traf sich ab 1924 regelmäßig unter der Leitung von Moritz Schlick, bis dieser 1936 von seinem ehemaligen Studenten Hans Nelböck erschossen wurde. Bekannte Mitglieder waren Rudolf Carnap, Otto Neurath, Herbert Feigl, Philipp Frank, Friedrich Waismann, Karl Menger und Victor Kraft. Deren philosophischer Ansatz wurde unter der Bezeichnung Logischer Empirismus (Logischer Positivismus) bekannt, aber nicht für ein überschwängliches Interesse an Moral, Ethik und Werten. Das vorherrschende Bild und diese Vorwürfe zu widerlegen, ist die Wissenschafterin angetreten und fündig geworden. Anfang Juli organisierte sie eine eigene internationale Tagung zum Thema.

"Das Innviertel ist bodenständig, aber weltoffen", sagt die Philosophin über ihre Heimat Taiskirchen. Letzteres traf auf manche ihrer Mathematiklehrer nicht zu, die ihr zu verstehen gaben, dass sie eine Ausnahme sei, das Fach aber an sich nichts für Mädchen. Sie hofft aber, dass sich ihre zweieinhalbjährige Tochter Zahlen und Logik einmal unbefangener nähern kann.

Aufgewachsen in einem sozialpolitisch engagierten Umfeld, ist für sie Philosophie mit Engagement und Praxis verbunden. Die Schnittstellen liegen für sie in Ethik, Sozialphilosophie, Politischer und Rechtsphilosophie, aber auch in Wissenschaftsphilosophie und Feministischer Philosophie aus dem Verständnis heraus, "Frauen im Leben und in der Theorie Gerechtigkeit selbstverständlich widerfahren zu lassen". Die 39-Jährige sieht Moral oder eben Ethik als zentralen Bestandteil "unseres gemeinsamen Lebens, der ganz gut funktioniert, wie vieles, für das Frauen die Zuständigkeit erteilt wird".

Die Kategorien "Arbeit", "Freizeit" und "Ganztagsbetreuung" findet die Philosophin, die seit mehr als zehn Jahren mit ihrem Partner zusammenlebt, unpassend: "Eltern wissen, dass ein Tag mit Kleinkind nicht acht, sondern 24 Stunden hat." Ihre freien Stunden verbringt Siegetsleitner - in bester philosophischer Tradition - gerne im Kaffeehaus. (Astrid Kuffner/DER STANDARD, Printausgabe 13.08.2008)