Wien - Hektik herrschte am Donnerstag in der Volkspartei: In Verhandlungen, Vier-Augen-Gesprächen, Telefonaten und Sitzungen versuchte man, die richtige Entscheidung im Parteivorstand zu treffen: mit wem - FP oder SP - Regierungsverhandlungen geführt werden sollen. Die Gegner der Blauen formierten sich.

Wien - Was zu Beginn der Woche noch unmöglich schien, nahm am Donnerstag plötzlich Gestalt an: Ernsthafte Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ schienen nicht mehr absurd zu sein. "Es steht 50:50. Ich hoffe, dass sich der Weg der Vernunft durchsetzt", sagte Wirtschaftskammerchef Christoph Leitl dem STANDARD vor der um 17 Uhr beginnenden Sitzung des Parteivorstandes. Auf Sozialpartnerebene haben in den letzten Tagen, so Leitl, "intensive Kontakte" stattgefunden. Er habe Parteichef Wolfgang Schüssel danach signalisieren können, "dass wir in wichtigen Dingen weiter kommen: Gesundheit, Pensionen, berufliche Bildung, Fragen der Bürokratie". Die Gewerkschaft sei nicht unbeweglich.

Neben Leitl haben sich auch die Landeshauptleute von Oberösterreich und Niederösterreich, Josef Pühringer und Erwin Pröll, gegen eine Fortsetzung der schwarz-blauen Koalition ausgesprochen.

Pröll brach am Donnerstagmittag einen offiziellen Besuch in Luxemburg ab, um zum Parteivorstand nach Wien zu fliegen. Dort wartete er die endgültige Entscheidung aber nicht ab. Der Landtagswahlkampf rief - einen Auftritt vor dem "Personenkomitee Erwin Pröll" am frühen Abend wollte er nicht absagen. Und ein "Veto" im Bundesparteivorstand, mit dem Pröll ursprünglich drohte, gibt es ohnehin nicht.

"Ton macht die Musik"

Auch Pühringer hatte angekündigt, Schwarz-Blau im Bundesparteivorstand nicht mittragen zu wollen. Allerdings hat Pühringer - wie Pröll bereits im Landtagswahlkampf - geringeres Gewicht in der Bundespartei. Salzburgs Landeshauptmann Franz Schausberger, obwohl kein Freund von Schwarz-Blau, hatte angekündigt, jede Entscheidung mittragen zu wollen. "Alles ist offen." Das war der Tenor der Sitzungsteilnehmer am Nachmittag. Echte Begeisterung wollte für keine der beiden Varianten aufkommen. Doch die Stimmung neigte sich zum Schluss eher in Richtung Schwarz-Rot, obwohl man über die auch am Donnerstag weiterhin rauen Töne der SPÖ wenig glücklich war. "Es ist der Ton, der die Musik macht", kritisierte auch Leitl. Wenn das schwarz-rote Projekt scheitere, dann weniger an sachlichen als an atmosphärischen Problemen".

Aber selbst die Befürworter von Schwarz-Blau räumten ein, dass die FPÖ keinen besonders stabilen Eindruck erzeuge. Dennoch meinte dieser Teil der ÖVP, dass eine kleine Koalition "demokratiepolitisch sauberer" sei. Außer deficit-spending falle der SPÖ nichts ein, hatte ein großer Teil der schwarzen Verhandler stets gemeint.

Nach den Gesprächen zwischen SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hielt sowohl Gusenbauer als auch Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl mit ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch Kontakt. Ein kolportierter Kompromissvorschlag zum umstrittenen Pensionsthema könnte so lauten: ÖVP und SPÖ einigen sich auf eine Harmonisierung des Pensionssystems für alle ab 35. Die Anhebung des Frühpensionsalters, die sich die ÖVP ab 2004 wünscht, wird verschoben - und soll erst dann starten, wenn die Arbeitslosigkeit Älterer signifikant gesunken ist. Welcher Prozentsatz "signifikant" ist, darüber wird noch gefeilscht - für die Gewerkschaft wäre ein wichtiges Ziel erreicht, wenn das Frühpensionsalter nicht schon ab 2004 angehoben wird, sondern erst später. Offiziell forderte die Gewerkschaft gestern einen Konvent für eine Pensionsreform.

Trotz dieses angeblichen Kompromisses gingen hochrangige SPÖ-Politiker Donnerstagnachmittag weiterhin von Schwarz-Blau aus und blieben bei der Meinung, dass die ÖVP mit der SPÖ nur eine "Ehrenrunde" drehen wolle: "Alles andere wäre eine Überraschung."

Gusenbauer noch schnell bei Schüssel

Seit 14.30 Uhr findet das wohl entscheidende Gespräch zwischen VP-Obmann Wolfgang Schüssel und SP-Chef Alfred Gusenbauer über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen statt. Über Zeit und Ort war im Vorfeld Stillschweigen vereinbart worden. So betrat Gusenbauer das Bundeskanzleramt auch durch den Hintereingang und war dementsprechend für Medienvertreter nicht zu sprechen. Die Dauer der Sitzung blieb zunächst unklar.

Um 17 Uhr soll jedenfalls unweit vom Bundeskanzleramt, in der ÖVP-Zentrale in der Lichtenfelsgasse, der ÖVP-Vorstand tagen. Von dieser Sitzung wird eine Entscheidung erwartet, für welchen Verhandlungspartner sich die Volkspartei entscheidet. (APA/eli, mon, cs/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.2.2003)