Foto: Grüne

Rücker: "Die Asylpolitik der Großparteien der letzten Jahre hat sich so stark nach Rechts entwickelt, es ist ein No-Go, dass es so weitergeht".

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Seit einem halben Jahr gibt es in Graz eine schwarz-grüne Stadtregierung. Lisa Rücker, grüne Vizebürgermeisterin, erklärt im derStandard.at-Interview, welche Kompromisse auf beiden Seiten nötig sind, damit das schwarz-grüne Experiment funktioniert. Mit Anita Zielina sprach Rücker über Strafen für Fahrrad-Rowdys, parteiinterne Streitkultur und die Regierungsreife der Grünen.

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derStandard.at: Sie haben beim Beschluss des Koalitionspaktes gesagt, mit Schwarz-Grün gehen Sie ein Experiment ein. Wie ist die bisherige Bilanz?

Lisa Rücker: Ich würde sagen: Es bleibt ein Experiment, aber es zahlt sich aus.

derStandard.at: Das heißt, es überwiegen die Einigungen über die Streitigkeiten?

Rücker: In den Bereichen in denen es für uns essentiell ist, ja. Auch wenn es natürlich Punkte gibt, in denen man sich nicht einig ist.
Beide wissend, wie weh wir uns mit diesem Experiment tun können, waren und sind wir überzeugt, dass wir etwas Anderes und etwas Neues wollen. Das ist der Wille, der uns nach wie vor antreibt.

derStandard.at: Welche Kompromisse sind die Grünen eingegangen, welche die ÖVP?

Rücker: Die Grazer ÖVP-Stadtpartei hat sich etwa in der Verkehrspolitik deutlich weiterbewegt, da spüre ich einen Willen zur Veränderung. Ein Zugeständnis, womit die ÖVP sich intern durchaus Schwierigkeiten eingehandelt hat. Was unsere Kompromisse angeht: Ein heißes Thema innerhalb der Grünen ist, wie im öffentlichen Raum mit Regelverletzungen im weiteren Sinn umgegangen wird. Da sehe ich als Regierende, dass manchmal Maßnahmen, die wir als Grüne prinzipiell unmöglich finden - also zum Beispiel alles was mit Überwachung durch eine Ordnungswache zu tun hat - notwendig sein können.

Etwa beim Thema Fahrrad-Rowdys: Wenn es da um Kontrollen und Überwachung geht, hätte ich als Oppositionspolitikerin gesagt: Schweinerei, das darf nicht sein. Als Regierungspolitikerin, die will dass das Radfahren in Graz weiter einen Aufwärtstrend erlebt, muss ich sagen: Die, die sich nicht an die Regeln halten, gehören kontrolliert und bestraft. Da bin ich sicher näher dran bei einer ÖVP, die sich als Ordnungspartei sieht.

derStandard.at: Ist das bei den Grünen eine unumstrittene Haltung?

Rücker: Nein, im Gegenteil, das ist umstritten wie nur was! Das ist ja das Schöne an den Grünen, da denkt jeder selber, jeder bildet sich eine eigene Meinung. Kommunikation nach innen ist ganz wesentlich, also auch Streiten nach innen. Es dauert manchmal länger, einen Kompromiss zu finden, aber besser diskutierte Entscheidungen sind im Endeffekt bessere Entscheidungen.

derStandard.at: Sollten die Grünen auch über Schwarz-Grün auf Bundesebene nachdenken?

Rücker: Prinzipiell sage ich: Die Grünen sind so weit, dass sie regieren können. In manchen Punkten ist das viel schwieriger als Oppositionsarbeit. Aber wir können nicht immer sagen wir wissen es besser, aber schmutzig machen wir uns nicht. Das ist vorbei.
Aber natürlich nur mit einem Partner, mit dem die Zusammenarbeit funktioniert. Ich sehe weder bei der SPÖ noch bei der ÖVP momentan, dass der Wille da ist, darüber nachzudenken. Das ist bei uns auf Stadtebene anders.

derStandard.at: Zum Thema Bleiberecht: Wie steht die steirische ÖVP denn jetzt dazu?

Rücker: Da unterscheiden sich noch mal die Landes- und die Stadt-ÖVP. Die Stadt-ÖVP ist letztes Mal bei einem Antrag (auf Bleiberecht nach sechs Jahren, Anm.) von uns mitgegangen, hat sich also damit aus dem Fenster gelehnt. Das ist etwas, was in der restlichen Volkspartei nicht Linie ist. Die Asylpolitik der Großparteien der letzten Jahre hat sich so stark nach Rechts entwickelt, es ist ein No-Go, dass es so weitergeht. Dafür geben wir uns nicht her. Das ist auch der ÖVP bewusst, wenn sie mit uns eine Partnerschaft eingeht.

derStandard.at: Eine Grazerin, die FPÖ-Stadträtin Susanne Winter, könnte Ihnen in den Nationalrat abhanden kommen. Traurig?

Rücker: (lacht) Die Frage ist immer: Was kommt nach. Wenn ich mir die FPÖ in Graz anschaue, ist es nicht unbedingt klar, dass das etwas Besseres ist. Ich bin froh wenn sie nach Wien geht. Aber die FPÖ ist in einer Weise aufgestellt, dass mir schlecht wird, egal wo sie sind.

derStandard.at: Haben Sie Angst, dass der Wahlkampf in Graz schmutzig wird?

Rücker: Natürlich, der letzte Wahlkampf war ja auch nicht ohne, was den Stil der Plakate und der Wortwahl anbelangt hat. Die Frage ist: Wie kommt die Politik damit zu Rande, dass Meinungsfreiheit so ausgelebt wird, dass das Strafrecht als Grenze offenbar nicht ausreicht? Man müsste klären: Ist die Grenze zur Verhetzung überschritten, wenn ganze Personengruppen oder Völker ständig verunglimpft werden? Das ist eine Diskussion, die wir momentan auf Stadtebene führen, sie wäre aber auch auf Bundesebene angebracht. Die Frage ist, ob bei Vorgehensweisen, die die Demokratie und das Gemeinwesen schädigen, eine finanzielle Sanktion angebracht wäre. Entzogene Förderungen sind etwas, was weh tut.

derStandard.at: Ihr Appell an die Bundesgrünen?

Rücker: Ecken und Kanten zeigen; zum Thema Energiepolitik, Integration und Sozialpolitik Stellung beziehen. Da sind aber die Grünen ohnehin die Einzigen, die das Energiethema mit der sozialen Frage sinnvoll verknüpfen. Die Grünen haben da die Antworten schon lange gegeben, sie sollen endlich die Möglichkeit haben, sie umzusetzen. (derStandard.at, 11.8.2008)