Georgiens Präsident Michail Saakaschwili hat seinem russischen Kollegen Dmitri Medwedjew die Chance gegeben, die "Silowiki" zu besiegen - die Herrschaft der Teile der politischen Elite Russlands, die dem Geheimdienst nahe stehen, zu brechen. Wenn Medwedjew diese Chance ergreifen kann, wären die Folgen für Moskau bedeutender als für Tiflis. Warum ist das so?

Es heißt, das Regime in Südossetien sei "prorussisch". Leider nicht. Alle Handlungen des Führers der abtrünnigen Regierung, Eduard Kokoity, laufen dem Interesse Russlands im Kaukasus zuwider. Er macht uns in den Augen der Weltöffentlichkeit lächerlich und schürt Konflikte in jener Region, wo Russland auseinanderzubrechen droht. Südossetien ist kein Land, kein Territorium, nicht einmal ein Regime. Es ist ein Joint Venture der Silowiki und ossetischer Banditen. Ihnen geht es darum, aus dem Konflikt mit Georgien Geld zu machen. Immerhin beträgt Russlands Geheimbudget für den Kampf um die 800 Millionen Dollar. Ganz zu schweigen von den Angehörigen des aufgeblähten öffentlichen Dienstes, deren Löhne und Pensionen Moskau bezahlt.

Wenn Ossetien überhaupt ein Staat ist, dann ist es ein terroristischer Staat. Wenn von "friedlichen Zivilisten" die Rede ist, dann sollten wir an die Situation in palästinensischen Flüchtlingslagern denken. Südossetien ist - wie ehedem die PLO - kein Staat mit einem Territorium und einem Ethos.

Es ist eine Mutation der Macht, die eine Bevölkerung in militarisierte Flüchtlinge verwandelt. Es ist so etwas wie eine bewaffnete Macht, deren Führung den Menschen nicht erlaubt, sich mit irgendetwas anderem als mit dem Krieg zu beschäftigen - was der Führung die absolute Kontrolle verleiht. Die Hysterie der Menschen ist ein Hauptmittel, die Taschen der Führung zu füllen.

Wenn man das Beschießen der Hauptstadt Zchinwali beklagt, sollte man sich vor Augen halten, dass die Stadt auf drei Seiten von georgischen Dörfern umgeben ist. Die südossetischen Streitkräfte beschießen diese Dörfer, und die Georgier schießen zurück. Wenn sie Zivilisten schützen wollten, müssten die Südosseten nur ihre Positionen ein paar Hundert Meter vorrücken. Aber das ist ja ein Grundsatz von Terroristen in der ganzen Welt - verschanze dich unter Zivilisten, und wenn dein Feuer erwidert wird, zeige genüsslich die Leichen deiner Kinder den Fernsehkameras.

Georgien wird diesen Krieg wohl gewinnen, weil Georgien ein klares Ziel hat. Die russischen Silowiki sind gut, wenn es darum geht, Firmen zu terrorisieren und Fabriken in den Ruin zu treiben, aber im Angesicht einer echten Armee rennen sie und beschweren sich bei den Vereinten Nationen.

Die neuesten Ereignisse zeigen, dass Russland Kokoity nicht unter Kontrolle hat. Hoffentlich begreift Georgien, dass nicht alle im Kreml Kokoity unterstützen wollen. Das Joint Venture der Lubjanka-Tschekisten und der ossetischen Banditen interessiert sich für Russland etwa so, wie sich ein Krebstumor für seinen Wirt interessiert. Wir sollten Saakaschwili für die Chemotherapie danken.

Was wird Russland jetzt unternehmen? Eine Möglichkeit ist die Verwicklung in einen richtigen Krieg. Darauf drängen die Silowiki seit Monaten. Ihnen ist es gleich, wer gewinnt, oder wie viele Opfer es gibt. Die bloße Tatsache eines Krieges sichert ihnen die Kontrolle über Russland. Ja, eine Niederlage Russlands käme den Silowiki durchaus gelegen: Es gäbe Gejammer, Vorhaltungen, Hysterie - und am Ende noch mehr Geld.

Die andere Möglichkeit bedeutet eine Chance für Dimitri Medwedjew und für Russland. Kann sich Russland aus dem Konflikt heraushalten oder zurückziehen, bedeutet das eine Niederlage für die Silowiki. Und möglicherweise den Bankrott nicht nur ihres Zweiggeschäfts in Südossetien, sondern auch der Zentrale in der Moskauer Lubjanka. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.8.2008)