Nicht wie in "Sex and the City" der Quickie über der Abwasch oder Unterhosenbeschaffung bei Dolce & Gabbana: Maya Rasker.

Foto: Harry Cock

Die Berge gelten als eine der letzten männlichen Domänen - auch wenn sich eine Schar von ehrgeizigen Alpinistinnen aufgemacht hat, all die Macho-Nagelproben bis tief im Himalaja zu enteignen. In der Literatur indes scheint die Männerwelt noch irgendwie intakt, wenn auch angeschlagen, so etwa vor nicht allzu langer Zeit in Paulus Hochgatterers Roman Über Raben (2001). Da stimmt es auf den ersten Blick skeptisch, wenn eine Autorin - und dazu noch eine Holländerin - für sich die männliche Perspektive auf einen Pyrenäen-Gipfel in Anspruch nimmt, und dazu noch die eines Geologen. Ein Berufsstand, von dem es heißt: "In der Wissenschaft monogam, zeigen sie im Leben die Neigung herumzuirren - Halt suchend an den Felsen, weil sie im Leben nicht wissen, wonach sie suchen."

Die niederländische Autorin Maya Rasker (geb. 1965 in Málaga) braucht nur wenige Seiten, um die an sie herangetragenen Zweifel zu zerstreuen. Auf eine ziemlich unbekümmerte Weise stellt sie die abgeschmackte bis gefährliche Frage nach der großen Liebe an den Beginn. Woran man sie erkennt? Es ist nicht wie in Sex and the City der Quickie über der Abwasch oder die Unterhosenbeschaffung bei Dolce & Gabbana. Nein, es gibt, so Raskers These, "nur einen Moment, in dem ein Mann weiß, dass er der Frau seines Lebens begegnet ist: wenn sie zum letzten Mal die Tür hinter sich zuzieht". Mit erstaunlichem Einfühlungsvermögen führt uns der Text in die etwas machistische Gedankenwelt seines Protagonisten Abel Bovenlander ein, eines gescheiterten Geologen, den wenig in Amsterdam hält, sondern der davon lebt, StudentInnengruppen auf den Montsec zu führen, um dort längere Zeit abzuhängen. Er würde sich durchaus zum Frauen-Feindbild eignen, denn er ist ein Hühnerhabicht im aufziehenden mittleren Alter, ausgebufft und abgefuckt.

Ein attraktiver Egoist, der den Sprung auf den Familienzug tunlichst verabsäumt hat und an dem auch sonst das Meiste abtropft, bis er die Studentin Xenia trifft. Sie wird die Frau seines Lebens sein, nachdem sie die Tür hinter sich zugemacht hat - doch völlig unverdient bekommt Abel eine zweite Chance, die Xenia samt einem ihm verschwiegenen Sohn zu ihm und den Pyrenäen zurückführt. So weit ein banaler Plot, zumindest wenn man ihn den Rosamunde Pilchers und anderen Heimatromantikern dieser Welt ausgeliefert weiß. Bei Rasker ist dies nicht der Fall, auch wenn ihre kräftige Sprache manchmal doch zu gewollt wird. (Aber gibt es überhaupt eine Sprache für dieses Rest-Religiosum der sogenannten großen Liebe, den biologischen Notnagel, an den so viele ihre Lebenshoffnung hängen?) Dafür führt uns die Autorin in plötzlichen Perspektivenwechseln in die Sichtweisen all der Frauen ein, die mit Abel das eine oder andere zu tun gehabt haben, und macht damit all das sichtbar, was ihm verborgen bleibt. Damit gewinnen auch die weiblichen Figuren an Profil und werden zu viel mehr als nur Projektionsflächen von Begehren und anderen männlichen Unfähigkeiten. So gewinnt Xenia über das "kleine Luder" hinaus, als das sie den Text betritt, und über die opake Provokation, die sie auf den Protagonisten ausübt, eine eigentümliche Stärke, die zumindest romantisch überzeugt.

Zum anderen reizt Rasker mit großer Versiertheit das Denksystem der Geologie als Leitmetaphorik für ihren Roman aus, wie sie auf ihrer Homepage zugibt: "Die Wirkung endogener und exogener Kräfte auf der Oberfläche der Erde, die Kräfte, die durch Wärme und Reibung freigesetzt werden. Schichtungen. Tiefe und Oberfläche". Das ist nicht unbedingt neu - hatte die Geologie doch schon bei Goethe und Novalis große Faszination ausgelöst. Die Sinnsuche in der Midlifecrisis, wo dem Körper neue Schichten zuwachsen und andere versanden, kann sie damit in durchaus lesbarer Art ausdrücken. Der Verlust des Flachlands führt in eine eigentümliche Bergwelt, die einen utopischen Rest abgibt. Urlaubslektüre? (Clemens Ruthner, ALBUM/DER STANDARD, 09./10.08.2008)