Die Cloud-Gate-Skulptur ist derzeit wohl das beliebteste Fotomotiv in Chicago. Mehr Bilder vom coolsten Park der Welt gibt's in dieser Ansichtssache.

Foto: Klaus Taschwer

Bei den Kindern ist die Crown Fountain am beliebtesten. Zumindest im Sommer. Wie magisch werden die Kleinen von den beiden gegenüberliegenden 15 Meter hohen Türmen angezogen, die ganz aus transparenten Glasziegeln bestehen. Die erste Besonderheit: Die Ziegel sind außerdem LCD-Bildschirme, die in regelmäßigen Abständen die riesigen Gesichter von rund 1000 Personen aus Chicago zeigen.

Der zweite Gag: Regelmäßig ergießen sich von oben Wassermassen über die Gesichter und sorgen an heißen Sommertagen für eine willkommene Abkühlung. Das Beste aber ist, dass alle fünf Minuten das gerade projizierte Gesicht auf einem der Türme seine Lippen so schürzt, als ob es Wasser aus seinem Mund spritzen wollte. Und tatsächlich: Wie bei einem traditionellen Wasserspeier schießt plötzlich eine Wasserfontäne in hohem Bogen aus dem Mund heraus.

Dann kennen die Kleinen kein Halten mehr, stürzen sich unter den Wasserstrahl und nehmen unter lautem Freudengeschrei eine ordentliche Dusche. Der Strahl versiegt, das Gesicht verblasst und verschwindet, ehe sich am anderen Turm das gleiche Ritual mit einem anderen Gesicht vollzieht. Und so geht es hin und her und her und hin, stundenlang. Der Crown-Brunnen, den der katalanische Künstler Jaume Plensa erdacht hat, ist einer der Höhepunkte des Millennium Park im Herzen von Chicago. Aber eben nur einer von vielen. Denn was inmitten eindrucksvoller Wolkenkratzer und in der Nähe des Michigansees errichtet wurde, ist wahrscheinlich eine der spektakulärsten Parkanlagen.

Unbestritten jedenfalls ist ein anderer Superlativ: Der Park, der frei und gratis begehbar ist, bildet mit seiner ziemlich genau zehn Hektar großen Fläche den größten Dachterrassengarten überhaupt. Er wurde nämlich auf einer Autoparkanlage und einem Rangierbahnhof errichtet. Und er ist wohl auch das teuerste Bauwerk seiner Art: Letztendlich beliefen sich die Errichtungskosten auf rund 500 Millionen US-Dollar. Die Mittel wurden indes vor allem von privaten Financiers aufgebracht - wie zum Beispiel von der Crown-Familie, die zehn Millionen Dollar für "ihren" Brunnen beisteuerte.

Ed Uhlir weiß darüber am besten Bescheid. Der Architekt, der an diesem Nachmittag selbst durch den Park der Wunder führt, war und ist der verantwortliche Koordinator des Projekts, das auch bei der Errichtung so ziemlich alle Pläne sprengte: Eigentlich hätte der Millennium Park nach zweijähriger Bauzeit im Jahr 2000 eröffnet werden sollten. Es sollte bis zum Sommer 2004 dauern.

Für Verzögerungen und die Kostenexplosion sorgte so manches architektonische Wunder des Parks. Das vielleicht markanteste: das "Cloud Gate", das es bereits nach kürzester Zeit zum wohl meistfotografierten Objekt der Stadt gebracht hat. Ursprünglich war der Konzept-Künstler Jeff Koons beauftragt worden, sich eine Attraktion auszudenken. "Doch sein 40 Meter hoher Turm mit Rutschen nach unten war definitiv unrealisierbar", erinnert sich Uhlir.

Der Ersatz war freilich noch besser: eine riesige, bohnenförmige Skulptur aus poliertem Stahl, die der indisch-britische Künstler Anish Kapoor entworfen hat und die einen Tropfen Quecksilber kurz nach der Landung darstellen soll. Das Ding wurde 110 Tonnen schwer und kostete letztlich statt der geplanten sechs Millionen Dollar 23 Millionen. "Aber es ist sein Geld um ein Vielfaches wert", sagt Uhlir.

Tatsächlich zieht es die Parkbesucher wie ein Magnet an. Die sehen sich selbst, wenn sie auf die Skulptur zugehen - dazu die Hochhäuser der Umgebung und die Wolken, an denen sie kratzen. Ein besseres Fotomotiv ist kaum denkbar. Und weil die Oberfläche der "Bean", wie das Cloud Gate im Volksmund genannt wird, allzu sehr zum Betasten einlädt, so Uhlir, muss sie täglich zweimal von Reinigungskräften wieder blank poliert werden.

Ganz wesentlich zur Explosion der Baukosten und der Bauzeit des Millennium Park hat Frank Gehry beigetragen, den Uhlir unbedingt mit dabeihaben wollte. Vom US-Stararchitekten stammen zwei weitere Wunder auf der Dachterrasse: der Jay Pritzker Pavillon, der nicht nur durch sein futurisches Design besticht, sondern vor allem durch seine einmalige Akustik.

Über den Rasen des riesigen Freiluftauditoriums, in dem rund 100 Konzerte pro Jahr stattfinden, spannen sich riesige Stahlrippen, in die Lautsprecher eingebaut sind, die auch hunderte Meter von der Bühne entfernt für tollen Klang sorgen. Vom einmaligen Blick durch die Rippen auf die Wolkenkratzer ringsum einmal ganz zu schweigen.

Und weil Frank Gehry auch einmal eine Brücke bauen wollte, ließ man ihn nebenan die elegante BP-Fußgängerbrücke entwerfen, die sich wie eine Schlange über die nahe gelegene Schnellstraße wölbt und zugleich als akustische Barriere wirkt.

Apropos: Wenn man es gerne leiser und kontemplativer haben will, begibt man sich am besten in den Lourie Garden, der raffiniert designten Gartenanlage des Millennium Park. Die ist ausschließlich mit Pflanzen bestückt, die rund um die "windy city" heimisch sind und die kunstvoll zu einer Geschichte der Region arrangiert wurden. Einmal abgesehen davon, dass sie einen je nach Jahreszeit unterschiedlich gefärbten Blumenteppich bilden.

Doch nicht nur der Lourie Garden verändert sich und lebt, auch der Millennium Park wird ständig erweitert: so etwa durch eine unterirdische Radverleihstation, die kürzlich eröffnet wurde. Stararchitekt Renzo Piano ist gerade dabei, eine waghalsige Brücke vom Lourie Garden hinüber ins berühmte Art Institute of Chicago zu bauen. Und für 2009 plant Zaha Hadid einen Pavillon. Gerade so, als ob es nicht schon genug zu bestaunen gäbe in diesem coolsten Park der Welt. (Klaus Taschwer/DER STANDARD/Rondo/8.8.2008)