STANDARD: Was tun Sie in China?

Weigelin-Schwiedrzik: In einem vom FWF geförderten Projekt wollen wir mit einer Universität in der autonomen Region Xinjiang, die etwa ein Sechstel des Territoriums der Volksrepublik China ausmacht, ein Problem lösen: Nomaden gesundheitlich zu versorgen - was sich mitunter schwierig gestalten kann. Etwa wenn eine Frau ein Kind in den Bergen zur Welt bringt oder es einen anderen Notfall gibt, bei dem ärztliche Versorgung notwendig wird.

STANDARD: Wie sieht es dort aus?

Weigelin-Schwiedrzik: Die Provinz liegt am nordwestlichen Rand Chinas, bekommt zwar nicht so viel Aufmerksamkeit wie Tibet, weist aber eine ähnliche Konstellation auf. Früher lebten dort überwiegend Turkvölker muslimischen Glaubens. Inzwischen sind sie stark mit Han-Chinesen vermischt. Das bedeutet, dass man auch ein Minoritätenproblem ähnlich wie in Tibet hat. In Xinjiang ist es für Ausländer normalerweise unmöglich, Forschung zu betreiben. Die chinesische Regierung sieht das nicht gern.

Wir haben aber die besondere Konstellation, dass die Provinzregierung die Universität und uns aufgefordert hat, einen politischen Vorschlag zu formulieren, wie man den kasachischen Nomaden helfen könnte. Wir sollen überlegen, wie diesen Menschen ein besseres Gesundheitsprogramm zuteilwerden kann.

STANDARD: Und wie können Sie das?

Weigelin-Schwiedrzik: Zunächst haben wir uns vorgestellt, dass wir mobile Untersuchungs- und Behandlungseinheiten durch die Gegend schicken. Als wir dann vor Ort waren, ist uns klargeworden, dass wir das nicht schaffen. Denn das Gebiet ist so groß, dass man dieses Unterfangen logistisch auch nicht mittels noch so flexibler und gut ausgerüsteter Autos durchführen kann. Man braucht ein Pferd oder vielleicht ein Motorrad. Alles mit vier Rädern kommt nicht sehr weit.

Wir haben schnell gemerkt, dass technologisch hochgerüstete Lösungen dort nicht greifen. Wir müssen also indigene Lösungen suchen und versuchen, diese zu optimieren. Es läuft also nicht so, wie es sonst oft in der Entwicklungshilfe vorkommt: Man hat eine europäische Lösung, mit der fährt man hin, bespricht, was zu tun ist, und bezahlt.

STANDARD: Welche Lösung gibt es?

Weigelin-Schwiedrzik: Wir brauchten beispielsweise ein Pferd und eine weitere Jurte. Ein Pferd kostet etwa 700 Euro, eine Jurte 300. Es geht also nicht um viel Geld. Das Hauptproblem ist der Faktor Mensch: Wir brauchen Ärzte, die bereit sind, im Sommer drei, vier Monate mit den Nomaden und ihrem Vieh in den Bergen zu leben und dort herumzuziehen. Ärzte müssen mit den Nomaden so leben, wie sie nun eimal leben: ohne Wasser, ohne Strom, ohne weiche Betten und feste Häuser. Das ist das Problem.

Die meisten Ärzte, die für eine solche Maßnahme zur Verfügung stünden, sind Han-Chinesen. Das sind Menschen, die das unheimlich barbarisch finden, dass Kasachen monatelang in die Berge gehen, ohne Strom und Wasser leben, sich nicht duschen können und so weiter. Natürlich gibt es auch keine Toiletten. Wie wollen Sie junge Ärzte finden, die schon entsprechend ausgebildet sind, um allein mit den Kasachen die Probleme lösen zu können? Die bei so etwas überhaupt mitmachen?

STANDARD: Motiviert Geld nicht?

Weigelin-Schwiedrzik: Natürlich sind wir der Meinung, dass man diesen Leuten Anreize geben muss. China bildet zu viele Mediziner aus, weil es sagt, wir haben dann arbeitslose Mediziner, und die gehen auch aufs Land. Aber so einfach ist das nicht. Bevor sie aufs Land gehen, arbeiten sie lieber als Taxifahrer in der Stadt. Man könnte diesen Einsatz etwa in das Karrieremuster der Ärzte einfügen. Dass sie etwa schneller befördert werden, wenn sie es auf sich nehmen, mit den Nomaden in die Berge zu ziehen.

Gleichzeitig müssen sie einen Einkommensanreiz bekommen. Sie sollten mehr in den Bergen verdienen als in der Stadt. Wenn aber dadurch einige Ärzte im Sommer nicht an ihrem normalen Arbeitsplatz in der Stadt sind, braucht man wieder mehr Stellen für Ärzte. Da haben wir dann ein bürokratisches Problem - und die sind nirgendwo auf der Welt einfach zu lösen.

STANDARD: Apropos Bürokratie: Menschenrechte und Olympische Spiele - eine gute Kombination?

Weigelin-Schwiedrzik: Die Diskussion der letzten Tage und Wochen halte ich für erbärmlich. Als sich das Internationale Olympische Komitee entschieden hat, dass die Olympischen Spiele in Peking durchgeführt werden sollen, war hinlänglich bekannt, um welche Art von politischem Regime es sich handelt. Und im Jahr 2008 sagt nun der Sprecher des IOC, man habe jetzt erst gemerkt, dass dies eine kommunistische Regierung mit ihren eigenen Vorstellungen sei und dass die nicht das mache, was das IOC wolle. So viel Naivität kann es doch gar nicht geben.

Damals, als die Entscheidung diskutiert wurde, hat sich das IOC über alle Bedenken und alles Wissen hinweggesetzt. Heute zu kommen und zu sagen, wir hatten die Hoffnung, dass sich in China unheimlich viel verändern würde, wenn wir die Olympischen Spiele dort austragen, ist so unsinnig, dass man sich am liebsten an den Kopf greifen möchte. Und die Sportler werden bei alledem auch noch politisch instrumentalisiert. (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Printausgabe, 6.8.2008)