Schwieriger Balanceakt eines Alternative-Stars zwischen Kunst und Kommerz: Clara Humpel, Kopf von Clara Luzia, würde "nicht für ein Joghurt oder Nudeln werben".

Standard/Andy Urban

Standard: Warum treffen wir uns im Café Hummel? Ist ein Kaffeehaus in der Josefstadt typisch Wien?

Humpel: Die Josefstadt ... Hm ... Ich finde das Hummel vor allem drinnen sehr spannend, es hat etwas typisch Wienerisches. Das menschliche Inventar finde ich hier sehr charmant. Das ist einfach ein klassisches Wiener Kaffeehaus, wie ich es mir vorstelle.

Standard: Auch etwas bürgerlich, oder?

Humpel: (lacht) Ja.

Standard: Sie stammen aus einem kleinen Dorf an der tschechischen Grenze, leben aber schon lange in Wien. Was mögen Sie an Wien?

Humpel: Mögen tu ich immer weniger an Wien oder generell an der Stadt. Als ich vor elf Jahren zum Studieren hergezogen bin, war das was. In Oberretzbach zu leben, wo auf der anderen Seite der Grenzübergang Znaim ist, war jahre- und jahrzehntelang das Ende der Welt. Die Großstadt war dann sehr spannend für mich. Aber jetzt merke ich, dass ich wieder zurück aufs Land möchte. Es leben sehr viele Menschen auf sehr kleinem Raum in der Stadt, und das wird mir immer enger. Ich habe das Gefühl, ich spüre ständig Ellbogen in mir, und das mag ich nicht.

Standard: Ihre Songs klingen melancholisch, die Texte sind ein bisschen morbid. Ist das der Wiener Einfluss?

Humpel: Das ist schwer zu beantworten. Ich wüsste nicht, wie es wäre, wenn ich nicht in Wien schreiben würde. Das Morbide stimmt. Das kann durchaus an Wien liegen. Aber damals in Oberretzbach habe ich noch morbidere Texte geschrieben. Ich war zu dieser Zeit auch pubertierend, da ist man immer auf einem morbiden Trip. Aber in Wien sind die Leute immer extrem grantig. Ich verstehe das nicht. Die Stadt ist doch so sauber und sicher.

Standard: Sind Sie auch grantig geworden?

Humpel: Ja, das ist mir selbst aufgefallen. Ich habe ein halbes Jahr in Liège in Belgien studiert, einer wirklich hässlichen Stadt, die von Armut geprägt ist. Es gibt dort viele Gründe, wahnsinnig grantig zu sein, und trotzdem strahlt dich jeder an. Ich bin dort immer lächelnd herumgelaufen. Das passiert mir in Wien nie. Man kriegt keine normalen Antworten und wird immer angeschnauzt. Man wird schnell in den Wiener Grant hineingezogen. Ich kann mich dem selbst kaum widersetzen.

Standard: Sie sind ein Star in der alternativen Musikszene, sagen jedoch, dass Sie nicht davon leben können. Warum nicht?

Humpel: Wir haben es zwar nicht darauf angelegt, aber Clara Luzia ist im Alternativ-Becken. FM4 spielt uns, Ö3 aber nicht. Das bedeutet, dass es eine Riesendiskrepanz bezüglich der Tantiemen gibt, da FM4 eine wesentlich geringere Reichweite und einen geringeren Marktanteil hat. Wären wir auf Ö3 auch nur zu einem Zehntel mit dem vertreten, wie wir auf FM4 gespielt werden, wäre ich reich. Mit FM4 wird man nicht reich. Da muss man den ORF in die Pflicht nehmen. Es ja jetzt ohnehin eine Quotendiskussion wegen österreichischer Musik im Gange. Es wäre natürlich sehr hilfreich, wenn Radiosender, auch private, mehr österreichische Musik spielen würden.

Standard: Wollen Sie, dass nur österreichische Musik gespielt wird?

Humpel: Nein, das meine ich nicht. Ich fordere, dass der ORF seinen Kulturauftrag wahrnimmt, der die Förderung von heimischen Kulturschaffenden beinhaltet. Das passierte bisher sehr marginal. Auch Frauenquoten in Politik und Wirtschaft hielte ich für ein legitimes Mittel zum Zweck. Das Problem ist, dass man bei der Frauenquote sagen kann: "Bei gleicher Qualifikation ist die Frau vorzuziehen." Das kann man mit Musik natürlich nicht machen. Man kann nicht sagen, dass man jeden Dreck spielt, nur weil etwas aus Österreich kommt. Es gibt eine Forderung des Verbands unabhängiger Tonträger, dass die Abspielquote am heimischen Musikmarkt dem internationalen Niveau angepasst wird. Das liegt bei 35 bis 40 Prozent. Da sind wir derzeit weit davon entfernt.

Standard: Was müssten Sie tun, um Karriere zu machen?

Humpel: Natürlich könnte ich mich einmal bei Ö3 vorstellen und mich überall ein bisschen prostituieren. Das will ich aber natürlich nicht tun.

Standard: Gibt es in der Alternative-Musikszene die Haltung "Kommerz ist pfui"?

Humpel: Na ja, man macht sich bestimmt keine Freunde, wenn man sagt "Major Labels sind geil", oder wenn man sagt, dass man möglichst viele Werbeverträge mit großen Firmen abschließen möchte. Für mich käme Sponsoring nicht infrage, wenn ich sagen müsste, dass ich zum Beispiel Microsoft total geil finde. Das wäre eine größere Prostitution, als wenn ich auf Förderungen angewiesen bin. Förderungen sind Steuergelder, die auch für Kulturprojekte da sind. Also warum nicht für mein Kulturprojekt? Das finde ich sauber.

Standard: Sie ließen sich also in keinem Fall von einem Unternehmen sponsern?

Humpel: Nein, so meine ich das nicht, ich habe sogar einen Sponsor. Stark stellt mir gratis einen Verstärker zur Verfügung, und ich sage auch gerne weiter, dass ich den ganz toll finde. Aber das hat mit mir und meiner Musik zu tun. Ich würde aber nicht für ein Joghurt oder Nudeln werben.

Standard: Empfinden Sie Wien als "Stadt der Musik"?

Humpel: Man ruht sich immer auf der Vergangenheit aus, und das finde ich etwas dünn. Man lockt Scharen wegen Mozart her, das ist legitim. Es wird jedoch wenig für Zeitgenössisches und Popmusik gemacht.

Standard: Glauben Sie, dass es der Kreativität grundsätzlich guttut, wenn sie am Fördertropf hängt?

Humpel: Es wäre nicht gut, wenn Wien Leute heranzüchtet und wenn die Musikszene nur von der Stadt Wien abhinge. Ich glaube jedoch, dass eine Stadt, die sich ständig als Musikstadt bewirbt, nicht schlecht daran täte, wenn sie eben gerade auch für die U-Musik etwas beisteuern würde. Auch wenn es nur um Konzertreihen, Plattformen oder Öffentlichkeitsarbeit geht. Man sollte die Gürtellokale in die Tourismus-Werbung einschließen. Man sollte nach außen transportieren, dass man nicht nur eine Vergangenheit hat, sondern auch eine Gegenwart.

Standard: Immerhin gibt es ein Donauinsel- und ein Stadtfest.

Humpel: Bei beiden Veranstaltungen wäre wünschenswert, wenn sie einmal parteiunabhängig stattfinden würden. Aber das ist in Wien schwierig. Die Kultursprecher aller Parteien könnten sich ja gemeinsam ein Konzept überlegen.

Standard: Es gibt heftige Debatten um die Übernahme der Szene Wien durch den Planet-Music-Boss Josef Sopper. Ihm werden gute Kontakte zur Stadtregierung nachgesagt, aber er scheint in der Szene recht unbeliebt zu sein. Zu Recht?

Humpel: Mir ist leid um die Szene Wien. Das Problem ist, dass sich Sopper ein Kulturmonopol schafft. Kulturplakat und Gasometer gehören ihm schon. Die Szene Wien hat immer ein spezielles Programm gehabt, vor allem World-Music und Acts aus dem Alternative-Bereich, die für die Gürtellokale zu groß und für die Stadthalle zu klein sind. Sopper hat meistens Metal im Planet Music gehabt. Das ist auch okay, aber es gibt jetzt die Befürchtung, dass die eigentliche Programmierung der Szene Wien dem Sopper-Stil zum Opfer fallen wird. Zudem hat die ganze Vorgangsweise diesen Freunderlwirtschaft-Touch.

Standard: Was halten Sie von der Politik in Wien?

Humpel: Die SPÖ ist schon fett da. Das merkt man. Ich habe das Gefühl, dass es in Wien eine ziemliche Freunderlwirtschaft gibt. Ich denke aber, dass es auch schlimmer sein könnte. Ich muss zugeben, dass ich in die Stadtpolitik nicht so viel Einblick habe.

Standard: Gibt es eine Vernetzung über die Grenzen hinweg, in Richtung Deutschland oder Schweiz oder durchaus auch bis nach Bratislava oder Brünn?

Humpel: In der Musik merke ich da leider keine Vernetzung. Ich würde es super finden, dort zu spielen. Ich habe auch mit anderen Bands darüber gesprochen. Der einfachste Weg zum Live-Spielen wäre, lokale Bands in Städten anzusprechen, gemeinsame Konzerte zu veranstalten. Dann würden die nach Wien kommen, und wir würden dafür z. B. in Bratislava spielen. Aber keiner hat Kontakte. Es ist extrem schwierig, denn das sind alles enge Szenen, wo Außenstehende kaum reinkommen.

Standard: Wie geht es einer Frau im männlich dominierten Musikgeschäft?

Humpel: Ich weiß ja nicht, wie es wäre, ein Mann zu sein.

Standard: Denken Sie, dass Sie es schwerer haben, weil Sie eine Frau sind?

Humpel: Die bloße Frage stört mich. Da denke ich mir: "Fragt doch die Männer, wie es als Mann ist!" Frauen werden ständig nach ihrem Geschlecht befragt und Männer nicht. Auch in unserer Band werden die Männer nie gefragt, wie es ist, Musik zu machen, sondern immer nur die Mädels. Auch was Technik anbelangt, haben wir anscheinend auf unserer Stirn stehen, dass Frauen mit Technik nichts zu tun haben. Jeder Bühnenarbeiter redet lieber mit unseren männlichen Bandmitgliedern.

Standard: Wie wird Wien in zehn Jahren aussehen?

Humpel: Es wird bessere Verknüpfungen mit dem Osten geben. Bratislava und Wien, die "Twin Cities", werden auch kulturell einiges mit sich ziehen. Es wäre super, wenn es ein gemeinsames Festival gibt. Wien wird sich auch verjüngen. In der Mode, im Design und in der Architektur ist in den letzten Jahren sehr viel passiert.

Standard: Und der Grant?

Humpel: Der Grant wird bleiben. Der geht nicht weg. (Petra Stuiber/DER STANDARD, Printausgabe, 2./3.8.2008)