Wenn im Bayreuther Festspielhaus das letzte Klingelzeichen ertönt, gibt es nur noch das sirrende Geräusch der vor den Eingängen angebrachten Vorhänge und den dumpfen Knall der Türen. Dann ist man drinnen im Wagner-Kosmos. Nichts für Klaustrophobe. Aus einer Sitzreihe mit 60 Plätzen ohne Mittelgang gibt es für die nächsten eineinhalb bis zwei Stunden - solange dauert im Durchschnitt ein Akt einer Wagner-Oper - kein Entrinnen. Und dies bei einer so wie heuer herrschenden Betriebstemperatur von etwa 40 Grad.

1800 Menschen täglich

Man muss das Werk Richard Wagners schon wirklich mögen, um sich derlei Strapazen auszusetzen. Dennoch finden sich heuer wieder zwischen dem 24. Juli und 28. August jeden Tag 1800 Menschen, die aus der ganzen Welt anreisen und unter denen die deutschsprechenden zunehmend zur Minderheit werden.

Sie alle nehmen die Mühsal eines Wagnerdampfbades mit Freuden auf sich. Und mit sattem Stolz weist man seitens der Festspielleitung zu allen sich bietenden Gelegenheiten darauf hin, dass hinter jeder Festspielkarte mindestens sechs weitere Anwärter stehen. Will heißen, dass man, um eine Festspielkarte zu bekommen, im Durchschnitt sechs Jahre lang warten muss.

Im Fall von Salzburg verhält es sich ganz anders. Obwohl Herbert von Karajan aus Salzburg zu Ostern ursprünglich ein österreichisches Pendant zu Bayreuth machen wollte, fährt man in der Hauptsache immer noch im Sommer nach Salzburg, und dies nicht nur wegen der Festspiele.

Schönes Salzburg

Salzburg ist ja schön - was man von Bayreuth nicht unbedingt behaupten kann - die Seen laden zum Baden ein, und, ist man einmal drinnen in der Society, dann braucht man nicht viel zu tun, man wird von Event zu Event getragen, man schwimmt mit, wohin auch immer, und wäre es auch einmal in eine Aufführung.

Um eine solche für die (den) vom Gesellschaftsleben Erschöpfte(n) möglichst erträglich zu gestalten, wird die Prominenz in den Pausen in abgezäunten Reservaten mit kühlenden Getränken gelabt und durch Smalltalk vom Inhalt des Gebotenen tunlichst abgelenkt. Anders als in Bayreuth.

Hier dauert eine Pause eine Stunde. Und das Überleben einer solchen - pro Vorstellung gibt es deren zwei - ist fast so schwierig, wie unversehrt einen Akt durchzuhalten. Hier gibt es ein stickiges, vom Geruch berüchtigter fränkischer Bratwürste geschwängertes Selbstbedienungsrestaurant und eines mit Bedienung. Ebenfalls ohne Klimaanlage.

Da sämtliche Vorstellungen bis auf das Rheingold schon um vier Uhr Nachmittag beginnen, bleibt nur als Alternative, im prallen Sonnenschein um das Festspielhaus zu traben.

Aber trotz kulinarischer Überlegenheit Salzburgs liest man in den Tageszeitungen, in den Ticketbörsen, dass es für die Konzerte und Opernvorstellungen der Festspiele noch Karten gibt. Vielleicht möchte das Publikum gepeinigt werden so wie in Bayreuth, und Richard Wagner hat das schon vor mehr als einem Jahrhundert begriffen. Und vielleicht sind die Sprechtheaterregisseure mit den geradezu geologischen Längen, zu denen sie manche ihrer Vorstellungen ausdehnen, auf dem richtigen Dampfer.

Dessen ungeachtet regt sich jetzt auch in Bayreuth ein markanter Wille in der Windschlüpfrigkeit des Angebotes mit Salzburg wenigstens ansatzweise gleichzuziehen. Salzburg hausiert mit Mozart, Bayreuth mit Richard Wagner.

Letzterer soll auf Initiative des lokalen Tourismusverbandes Verstärkung bekommen. Zusammen mit Jean Paul, Franz Liszt und der Markgräfin Wilhelmine, die ja alle in Bayreuth gewirkt haben, will man um Wagner ein schlagkräftiges Team von Kulturheroen bilden, mit dem jetzt schon in einer Plakataktion für Bayreuth geworben werden soll.

T-Shirts und Polos

Dies trifft sich gut mit einer Initiative der Festspielleitung, die neuerdings auch T-Shirts und Polohemden mit dem Namenszug von Richard Wagner vertreibt. Und was für Salzburg die Mozartkugeln, das sind in Bayreuth neuerdings verschiedene Teesorten, die man als Souvenir mitnehmen kann: ein Tristan-Tee oder ein Tannhäuser-Tee. Aber auch Schlüsselbänder und Weine werden in Wagners Namen fleißig verkauft.

Der Kommerz hat jetzt eben auch Richard Wagner entdeckt, und seine Urenkelin Katharina den Kommerz. Diese mutuelle Entdeckung war zwar hoch an der Zeit, auch wenn Altvater Richard nichts mehr davon hat. Von den 49 Euro, die man berappen musste, um die Meistersinger auf seinem PC oder Laptop mitverfolgen zu können, dürften angesichts des enormen technischen Aufwandes wenig übrig bleiben. Es durfte nämlich im Zuschauerraum des Festspielhauses keine einzige Kamera sichtbar postiert werden, die Lichtverhältnisse nicht verändert werden und auch kein einziger Sitzplatz verlorengehen.

Beinahe schon Zauberei

Verglichen mit dem sichtbaren Aufwand, der bei allfälligen Opernübertragungen durch den ORF nötig ist, scheint diese technische Diskretion ein beinah an Zauberei grenzendes Meisterstück. Das übrigens einen unschätzbaren Vorteil hatte: Man konnte die Vorstellung jederzeit verlassen. Was in der Realität, wie eingangs geschildert, so gut wie unmöglich ist. (Peter Vujica aus Bayreuth, DER STANDARD/Printausgabe, 02.08/03.08.2008)