Wien - Ab 1995 - mit der Einführung der sogenannten Protease-Hemmer in die Aids-Therapie - wendete sich das Blatt in der Behandlung der Immunschwächekrankheit Aids. Doch die Entwicklung geht weiter. "Mit einem neuen Integrase-Hemmer haben wir jetzt auch ein Mittel, mit dem wir auch bei schwerst Vorbehandelten mit multiresistenten HI-Viren die Zahl der Erreger im Blut unter die Nachweisgrenze drücken können." Dies erklärte aus Anlass der bevorstehenden Welt-Aids-Konferenz (3. bis 8. August/Mexiko-Stadt) der Wiener Experte Armin Rieger (Universitäts-Hautklinik/AKH). Nach wie vor würde aber ein Teil der HIV-Patienten in Österreich noch immer zu spät in Behandlung kommen.

Resistenzen gegen Arzneimittel

Zwei Klassen von Hemmstoffen des HI-Virus-Enzyms Polymerase und die Protease-Hemmer waren vor Jahren für die Patienten ein wahrer Segen. Doch mit der Zeit gab es auch immer mehr Betroffene, bei denen die Immunschwäche-Erreger resistent gegen die Arzneimittel wurden. Neue Substanzen wurden entwickelt: Mit Enfuvirtide ("Fuzeon") stand ab 2003 ein drittes Therapieprinzip gegen HIV zur Verfügung. Der Wirkstoff hindert die Aids-Erreger am Eindringen in ihre Zielzellen (Fusionshemmer).

Neuer Ansatz

Auch das war nicht der Endpunkt. Mit dem Wirkstoff Raltegravir gelang es dem US-Pharmakonzern Merck, Sharp & Dohme erstmals, eine Substanz zu entwickeln, welche die Integration der Erbsubstanz in die DNA der befallenen Zellen verhindert - ein Hemmstoff des Virusenzyms Integrase. Und gerade dieser zusätzliche Ansatzpunkt gegen HIV soll der Medizin erneut einen Vorsprung gegenüber der genetischen Wandlungsfähigkeit der Erreger verschaffen.

Rieger vor dem Abflug nach Mexiko: "Erst vor kurzem (24. Juli) ist im New England Journal of Medicine eine wissenschaftliche Studie erschienen. Es handelte sich bei den Patienten ausschließlich um Personen, die schon lange vorbehandelt wurden und bei denen die verwendeten Medikamente versagten." Das Ergebnis: Gab man ihnen zusätzlich zu einer Hintergrund-Therapie mit den herkömmlichen Mitteln Raltegravir, waren nach 48 Wochen 62,1 Prozent der Behandelten mit ihrer HI-Virus-Last unterhalb der Nachweisgrenze (weniger als 50 Viruskopien pro Milliliter Blut). Unter Placebo waren es nur 32,9 Prozent. Der Fachmann: "In einer Subgruppe der Patienten gelang das sogar noch bei über 90 Prozent."

Polymerase- und Protease-Hemmer der nächsten Generation

Es ist aber nicht nur dieses Arzneimittel allein. Rieger: "Binnen kurzer Zeit wurde eine ganze Reihe von neuen Arzneimitteln gegen HIV verfügbar." Zunächst kam Maraviroc hinzu, ein Arzneimittel, welches einen Co-Rezeptor auf den Zielzellen der Viren (T4-Lymphozyten/CCR5-Rezeptor) blockiert. Dadurch können die Viren nicht mehr in die Zellen hineinhieven. Der Arzt: "Mit Etravirin und Darunavir gibt es jetzt auch Polymerase- und Protease-Hemmer der nächsten Generation." Auch sie eignen sich für eine Rettungs-Therapie ("Salvage-Therapy") bei Versagen der herkömmlichen Medikamente.

Rieger: "Allerdings muss man auch sagen, dass wir in Österreich wahrscheinlich insgesamt nicht mehr als 20 bis 30 HIV-Patienten haben, die Multiresistenzen aufweisen und bei denen die Behandlung versagt." Dem überwiegendsten Teil der Patienten kann mit den schon seit einiger Zeit erhältlichen Therapeutika mit einfachem Einnahmemodus (zum Teil nur noch eine oder zwei Kapseln pro Tag) geholfen werden.

Zu späte Diagnose

Ein Problem: Noch immer bekommen manche Betroffene zu spät eine Diagnose und damit auch sehr spät eine Therapie. Der Fachmann: "Etwa bei einem Viertel der Patienten wird die HIV-Infektion erst in einem Stadium von weniger als 200 CD4-positiven Zellen diagnostiziert." Da ist das Immunsystem schon deutlich geschädigt. Es kann zu Komplikationen kommen. Allerdings, ein Teil der HIV-Positiven kommt auch aus Staaten der Dritten und Vierten Welt, wo das Gesundheitssystem versagt. Zunehmend Sorgen machen den Ärzten aber auch "neue" Langzeitkomplikationen bei den HIV-Patienten. So haben sie zum Teil eine wesentlich erhöhte Rate an koronaren Herzkrankheiten. Diese allerdings haben die ersten Aids-Patienten nicht mehr erlebt ... (APA)