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Cassandra Wilson, eine echte Stilistin, findet sich auf ihrer neuen CD mitunter zu sehr von schmusigen Arrangements bedrängt.

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Sie klang immer ein bisschen wie die nahe Verwandte von Sarah Vaughan, mit ihrer extrem dunkel gefärbten Stimme. Die mit der historischen Größe verwandten Qualitäten haben allerdings keine Plagiatsdiagnosen gebracht. Da war immer eine besondere, eigene Tönung zu vernehmen, auch eine spezifische Art der verschlafenen Phrasierung; Cassandra Wilson ließ sich Zeit bei der Erweckung von Phrasen und lud gerade dadurch einen musikalischen Moment gelassen mit Intensität und Flair. Die klare schöne Folge: Auch aus jedem netten Schmusesong konnte Wilson Tiefe herausholen, und es wunderte nicht, dass sie ihre globale Bekanntheit letztlich mit einem Repertoire abseits der strengen Jazzkammer begründen konnte.

Bluesig und folkig tönte es da mitunter, auch wich sie ins poppige Repertoire aus. Sie, die denselben Manager wie Bruce Springsteen hatte und einst mit Klampfe als Folk-Sängerin durch die Clubs von Uncle Sam tingelte; sie, die sich aber auch für eine gewisse Zeit in New York der Musikerinitiative M-Base anschloss. Man kann ihre Qualität mittlerweile auf einigen CDs nachhören, die Dame ist etabliert, seit langem und nach wie vor bei der EMI: Travelin' Miles, Blue Light 'Til Dawn oder auch New Moon Daughter - das waren interessante Versuche, aus der Jazzecke herauszukommen, Blues, Pop- und Folkbereiche zu integrieren. Wilson ist damit quasi auch eine Trendsetterin gewesen, die einer Norah Jones den Weg geebnet hat.

So ist man zunächst überrascht, wenn man das Cover der neuen CD Loverly betrachtet. Man sieht eine Lady in einem meeresblauen Kleid, wie sie irgendwo lehnt und ein wenig streng dreinblickt. Das strahlt etwas leicht Konservatives aus, erinnert an jene Klassizität, wie sie bei alten Jazzdamen zu beobachten war und ist. Und siehe da, das Äußere ist wohl nicht wirklich Zufall: Putzig swingt und tuckert es gleich am Anfang flott dahin, als wäre man in den 40er-Jahren und der Bebop noch nicht geboren. Man denkt an die junge Kollegin Madeleine Payroux, die ihre ganze Karriere auf der nostalgischen Simulation des alten Jazz aufgebaut hat. Gleich bei Black Orpheus allerdings eine wolkenverhangene E-Gitarre, etwas mehr Gegenwartsnähe also. So geht das dann eine CD lang hin und her zwischen ganz alt und etwas frischer - die CD wirkt wie eine Zusammenfassung all dessen, was Wilson bisher versucht hat, ergänzt durch kleine Songzeichen, die zeigen sollen, dass ihr der alte Stil nicht fremd ist. Wouldn't It Be Loverly aus dem Musical My Fair Lady ist da zu hören, dann wieder Mainstream-Bossa, auch Caravan von Duke Ellington mit etwas Freiraum für die Instrumentalisten. Es folgen Jazzrockiges, Afrojazziges, Bluesiges, Souliges und Funkiges. Stilistisch wird da also sehr viel gewollt, es passt dann aber doch nicht alles. Diese Stimme ist am besten beim Blues und bei Balladen aufgehoben (The Very Thought of You). Wo die Arrangements indes glatt daherkommen, wirkt der Klangrahmen allzu sehr unter dem Niveau dieser Stimme, die sich gar nicht anbiedern könnte, selbst wenn sie es wollte.

Somit: Cassandra Wilson bleibt eine Spezialistin des Hintergründigen, des Düster-Atmosphärischen, des Poetischen mit einem Schuss erdiger Erotik. Der Jazzmainstream ist da nur ein lächerlicher, verharmlosender Rahmen für ein singuläres Vermögen. Vielleicht fehlte Wilson die Distanz, da sie die CD selbst produziert hat und keine hilfreiche Blick von außen hatte. Vielleicht hat die Firma zu viel mitgeredet. Wir werden es noch erfahren. Bei Liveauftritten wird man anhand des erwählten Repertoires sehen, ob die Mainstream-Fehler der CD korrigiert werden. (Ljubisa Tosic, RONDO/DER STANDARD/Printausgabe, 01.08.2008)