Wien - Die österreichischen Reaktionen auf das gestrige Scheitern der Genfer WTO-Verhandlungen können unterschiedlicher nicht sein. Während die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und die Industriellenvereinigung (IV) das Scheitern bedauern, wird der Abbruch von der globalisierungskritischen Organisation Attac begrüßt. Die Grüne Politikerin Ulrike Lunacek sieht das Scheitern hingegen "mit einem lachenden und einem weinenden Auge".

Die WKÖ bedauert den Abbruch der WTO-Gespräche in Genf. Für die österreichische Wirtschaft werden damit "vor allem reale Chancen" zur Verbesserung des Marktzugangs gegenüber anderen Industriestaaten sowie zu Verhandlungen einiger konkreter nicht-tarifärer Handelshemmnisse vergeben, die in der WTO bereits weitgehend akzeptiert waren, hieß es in einer Aussendung.

Die Tatsache, dass sich die Vertreter der WTO-Mitglieder nicht über die letzten Gegensätze in der Landwirtschaft und bei der Verbesserung des Zugangs industriell-gewerblicher Waren auf den Exportmärkten einigen konnten, lasse darauf schließen, dass bei den Regierungen der größten Wirtschaftsmächte die Verteidigung "einiger defensiver Interessen" der Vorzug vor der Förderung von Exportchancen gegeben wird, befand die WKÖ.

Auch von der IV wird der Abbruch als "bedauerlich" bewertet. Eine weitere Liberalisierung des Welthandels wäre besonders angesichts der sich abschwächenden Weltkonjunktur wichtig für mehr Wachstum und Wohlstand, sowohl in den Industrie- als auch den Schwellen- und Entwicklungsländern gewesen, so die IV in einer Aussendung. Gerade vor diesem Hintergrund sei die "große Chance auf eine Win-Win-Situation für alle vertan worden".

Gerade für Österreich als stark exportorientierte Volkswirtschaft habe der Freihandel zentrale Bedeutung. Fast jeder zweite neue heimische Arbeitsplatz entsteht in der Exportwirtschaft, über 60 Prozent des BIP wird im Außenhandel erwirtschaftet, so die IV.

Lachendes und weinendes Auge

Begrüßt wird der Abbruch hingegen von Attac Österreich. "Die Industrieländer und Exportgewinner im Agrar-, Dienstleistungs- und Industriebereich kommen mit ihren Partikularinteressen nicht mehr durch, und das ist gut so", meinte Alexandra Strickner von der Anti-Globalisierungsorganisation.

Das Scheitern der WTO-Gespräche wird von der Grünen Politikerin Ulrike Lunacek "mit einem lachenden und einem weinenden Auge" gesehen. Einerseits hätten die Verhandlungen "eigentlich nur zwischen den G-7" sowie der EU stattgefunden. Damit konnten die ärmsten Länder, denen die sogenannte 'Entwicklungsrunde' von Doha doch am meisten hätte bringen sollen, ihre Positionen nicht einbringen, so die Politikerin in einer Aussendung. Der möglicherweise erreichte Kompromiss in Genf wäre für diese Länder sicherlich ein fauler Kompromiss gewesen, so Lunacek. Andererseits seien die am wenigsten entwickelten Länder in den bilateralen Verhandlungen, die nach dem Scheitern der Runde noch zunehmen werden, in einer noch schwächeren Position.

Dass die WTO-Runde abgebrochen wurde, liegt laut der Landwirtschaftskammer (LK) an der Tatsache, dass sich die USA und die Schwellenländer China und Indien nicht über den Marktzugang für Reis und Baumwolle einigen konnten. Wie es nun weitergehe sei noch ungeklärt. Eines müsse aber jetzt schon klar sein: Eine Fortsetzung könne nicht bei den im letzten Moment angebotenen Konzessionen der EU, sondern höchstens beim letzten offiziellen Angebot der Kommission starten. Andernfalls wäre Europa ein doppelter 'Draufzahler', so LK-Präsident Gerhard Wlodkowski. 

Im österreichischen Landwirtschaftsministerium sieht man das Scheitern der WTO-Gespräch auch "mit einem lachenden und einem weinenden Auge" , wie es Generalsekretär Gerhard Popp am Mittwoch im Standard-Gespräch ausdrückte. Positiv sei, dass die europäischen Landwirte "keine weiteren Verpflichtungen eingehen" müssten, negativ, dass es "keine klaren Rahmenbedingungen für sie gebe - bei den nächsten Verhandlungen müssen wir wieder von vorne anfangen" . Eindeutig sei aber, so Popp, dass "diesmal weder Europa noch die europäische Landwirtschaft an einem Scheitern schuld sind" . (DER STANDARD, Print-Ausgabe/APA, 31.7.2008)