Bei steigendem Pollenflug hilft meist nur ein Taschentuch - oder Schutz hinter einer Allergiemaske.

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Wenn das Immunsystem anspringt, beginnen Betroffene zu schnupfen, husten, der Hals kratzt. Dieser Zustand hält mittlerweile den größten Teil des Jahres an. Nichtallergikern erscheinen ihre Anstrengungen mitunter paranoid: Stofftiere werden ins Gefrierfach verbannt, unsichtbaren Feinden wie Hausstaubmilben und Schimmelpilzen wird der Kampf erklärt.

Symptome bekämpfen

Dem Angriff von Pollen, den häufigsten Allergieauslösern, haben Allergiker allerdings wenig mehr entgegenzusetzen als ein Taschentuch. Augentropfen, Nasenspray und Antihistaminika können lediglich allergische Beschwerden lindern. Die spezifische Immuntherapie hilft dem überreagierenden Immunsystem zwar toleranter zu werden - eine prophylaktische Impfung, die das Entstehen einer Allergie überhaupt verhindert, gibt es aber bis heute noch nicht.

Pollen vermeiden

Bis es so weit ist, werden wohl noch viele ausgewachsene Allergiker vor Blütenstaub die Flucht ergreifen. Immerhin mehren sich die Hinweise darauf, warum Pollen immer aggressiver geworden sind.

Botanisch betrachtet übertragen Pollen das männliche Erbgut der Pflanze auf deren weiblichen Teil, den Stempel. Landet ein Pollenkorn auf irgendeiner Oberfläche, setzt es sofort eine Reihe von Proteinen, Lipiden und Zuckern frei - so stellt es fest, wo es sich befindet. Sitzt der Pollen auf dem passenden Stempel, kommt eine entsprechende Antwort, und die Befruchtung kann beginnen.

Laufender Fehlalarm

Klebt der Pollen aber irrtümlich an einer menschlichen Schleimhaut, können bestimmte Pollenproteine als Allergene wirken und - bei empfindlichen Menschen - die Allergie auslösen: Das Immunsystem bildet dann Antikörper. Beim erneuten Kontakt kommt es zu einer Entzündungsreaktion mit juckenden, tränenden Augen und einer rinnenden Nase - die anfalls-artigen Zustände können sogar asthmatische Zustände auslösen.

Reaktionsverstärker Umweltbelastung

Da in Städten mehr Menschen an Allergien leiden als auf dem Land, liegt die Vermutung nahe, dass die zunehmende Umweltverschmutzung eine allergische Reaktion zumindest verstärkt. "Tatsächlich kann etwa Feinstaub das Immunsystem in eine erhöhte Alarmbereitschaft versetzen", erklärt Claudia Traidl-Hoffmann, Dermatologin und Allergologin am ZAUM, dem Zentrum Allergie und Umwelt der Technischen Universität München. "Außerdem können die weniger als zehn Mikrometer kleinen Feinstaubpartikel huckepack Pollenallergene bis tief in die Atemwege einschleusen."

Pollenassoziierten Lipidmediatoren (PALMs)

Zudem konnten Chemiker der TU-München zeigen, dass aus Pollenproteinen, die Autoabgasen ausgesetzt werden, sogar Nitroproteine entstehen. Sie können ebenfalls allergische Reaktionen verursachen oder verstärken.

Bei ihren Untersuchungen machten die Wissenschafter des ZAUM aber noch eine weitere Entdeckung: Pollen setzen neben den allergieauslösenden Proteinen auch ungesättigte Fettsäuren frei, die den Allergenen den Weg bahnen. Diese pollenassoziierten Lipidmediatoren (PALMs) können dabei sowohl Entzündungszellen von Allergikern als auch von Nichtallergikern aktivieren.

Allergie, die keine ist

Nicht jede rinnende Nase ist also auf eine Allergie und die damit verbundene Reaktion spezifischer Antikörper zurückzuführen. "Es ist aber durchaus denkbar, dass PALMs das Immunsystem darauf vorbereiten, eine Allergie auszubilden. Und auch hier gibt es einen interessanten Zusammenhang zur Luftqualität: Pollen in urbanen Gebieten setzen mehr PALMs frei", so Traidl-Hoffmann.

Verändertes Klima - ganzjähriger Pollenflug

Wenn die Allergologin an die Zukunft denkt, dann erscheinen ihr auch genetisch veränderte Bäume, deren Pollen weniger Allergene enthalten, möglich. In Zeiten steigender CO2-Konzentration jedoch werden das Pflanzenwachstum und die Pollenproduktion nur noch mehr angekurbelt. Außerdem sorgt ein verändertes Klima für beinahe ganzjährigen Pollenflug, und neue, stark allergen wirkende Pollen wie die der Ambrosia, breiten sich weiter aus.

Bleibt Allergikern vorerst als beste aller unbefriedigenden Lösungen die Allergenkarenz: mit gezückten Taschentüchern drinnen bleiben, wenn es draußen blüht. (Tanja Fabsits/MEDSTANDARD/PRINTAUSGABE/28.07.2008)