London/Wien - Nach der verheerenden Niederlage bei der Nachwahl in Glasgow-Ost hat der britische Premier Gordon Brown von führenden Parteifreunden offenbar eine "Galgenfrist" von zwei Monaten bekommen, um das Ruder wieder herumzureißen. Gelingt es dem Regierungschef nicht bis September, die Umfragewerte der Partei von derzeit 24 auf 30 Prozent zu heben, werde man ihn zum Rücktritt auffordern, berichtet die Londoner Tageszeitung "The Times" unter Berufung auf Labour-Kabinettsmitglieder.

Ein Minister sagte der Zeitung, dass Justizminister Jack Straw als Nummer zwei in der britischen Regierung Brown die schlechte Nachricht überbringen solle. Straw sei "zutiefst besorgt" wegen der Wahlniederlage, berichtete die Tageszeitung "The Guardian", die ebenfalls von intensiven telefonischen Beratungen der urlaubenden Regierungsmitglieder über einen "geordneten Rückzug" Browns berichtete. Vertrauten zufolge ist Straw zwar grundsätzlich gegen einen raschen Führungswechsel, doch gehe das Wohlergehen der Partei vor, "was so viel heißt, dass er Brown nicht unendlich lange unterstützen wird".

Coup

Halte Straw auch im Herbst noch an Brown fest, "stehen andere Minister bereit, den Coup durchzuführen", sagte der Gewährsmann der "Times". Ein anderer Minister meinte, es wäre ein Wunder, sollte Brown die Trendumkehr bis zum Herbst gelingen.

Nur mit Umfragewerten von mindestens 30 Prozent kann sich Labour noch Chancen auf einen Sieg bei der kommenden Unterhauswahl ausrechnen, die spätestens im Mai 2010 stattfinden muss, sagte der Politologe John Curtis der "Times". "Noch nie hat eine Partei, die unter 30 Prozent startete, eine Wahl gewonnen." Einer am Freitag veröffentlichten Umfrage zufolge liegt Labour bei 24 Prozent, die oppositionellen Konservativen bei 46 Prozent.

Bei der Nachwahl am Donnerstag verlor die Brown-Partei einen ihrer bisher sichersten Sitze an die Schottische Nationalpartei (SNP). Aus einem Vorsprung von 13.500 Stimmen bei der Wahl 2005 wurde ein Rückstand von 365 Stimmen. In Medienkommentaren war von einem "Alptraumergebnis" für Brown die Rede. "The Guardian" errechnete, dass nur 20 der 350 Labour-Abgeordneten ihre Mandate behielten, würde sich das Erdrutschergebnis von Glasgow-Ost im ganzen Land wiederholen. Bei der Kommunalwahl im Mai war Labour landesweit mit 24 Prozent der Stimmen nur auf dem dritten Platz gelandet.

Offiziell stellten sich führende Minister am Freitag hinter den Premier. "Ich glaube, dass Gordon Brown der beste Premierminister und der beste Parteiführer ist", sagte sein enger Vertrauter Schatzkanzler Alistair Darling. Brown zeigte sich zuversichtlich, "dass wir, wenn es soweit ist, das britische Volk überzeugen können". In einer Rede vor Parteifreunden in Warwick bat der Premier um Geduld und sprach wiederholt von "24 Monaten", die bis zur Wahl noch blieben.

Beobachtern zufolge werden die Gewerkschaften, auf deren Beiträge die Labour-Parteikasse massiv angewiesen ist, ein bedeutendes Wort in der Führungsdiskussion haben. Der Generalsekretär der Gewerkschaft GMB, Paul Kenny, rief die Abgeordneten zu einer raschen Lösung der Frage auf. "Entweder sie unterstützen Gordon Brown bis zur nächsten Wahl oder sie werden ihn jetzt los", sagte Kenny, der das Wahlergebnis von Glasgow als "richtige Katastrophe" bezeichnete.

Die Parlamentsferien verschaffen dem Premier eine Verschnaufpause, doch auch seinen innerparteilichen Kritikern dürfte die zusätzliche Zeit zum Schmieden von Umsturzplänen nicht ungelegen kommen, schreibt die "Times". Schließlich müssen die möglichen Nachfolgekandidaten - allen voran Außenminister David Miliband - noch "bearbeitet" werden. (APA)