Peter Simonischek

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Trotz langjähriger Übung gibt es immer wieder Leser, die (sich) fragen, ob all das, was in dieser Kolumne kursiv gesetzt ist, der gedankliche Ausfluss perverser Gehirne, allenfalls des meinen, wäre oder ob es sich dabei - oft schwer zu glauben - um authentische Zitate handle. Im Allgemeinen genieße ich ein gewisses Vertrauen, aber gelegentlich reißt der einen Leserin, dem einen Leser die Geduld. So neulich, als ich schrieb: Seither tuschelt toute Vienne über die hochnotpeinliche Haarspalterei. Dass es kursiv da stand, konnte pädagogische Erbitterung nicht zügeln. Rot überschrieben erhielt ich brieflich ein Exemplar zurück mit dem Rüffel: "Tout Vienne heißt es! Lernen Sie französisch!" Ich gebe diesen beherzigenswerten Rat gerne an die Kollegen von "NEWS" weiter, die vielleicht keine solche Mahnung erhalten haben. Leider war sie anonym, sie können sich also für diese Aufforderung zur Weiterbildung nicht einmal bedanken.

Eine grundsätzliche hochkulturpolitische Auseinandersetzung ist nun terminbedingt um die Frage entbrannt, die Mittwoch der "Kurier" aufwarf: Wie sexy ist Fräulein Jedermann? Außerstande, diese Frage seriös ante festum zu beantworten, versuchte es das Blatt dennoch. Diesen Sommer läuft Sophie von Kessel barfuß über den Domplatz. Die neue Buhlschaft im Erotikvergleich.

Dass der "Kurier" den Erotikvergleich schon zog, noch ehe die neue Buhlschaft Gelegenheit hatte, barfuß über den Domplatz zu laufen, zeugt von der vorauseilenden Erotomanie des vergleichenden Mitarbeiters. Kaum eine Rolle wird so überschätzt wie die der Buhlschaft, verengte er die unausrottbare Überschätzung des ganzen Stücks auf die eine Rolle: Wenig Text, bloßhappert über den Salzburger Domplatz ... und beim Grande Finale eine möglichst erotische Darstellung der Sterbebegleitung für den "Jedermann".

Doch Kessel wird es schwer haben, so der Experte, gegen Pheromon-Bomber wie Ferres & Co. zu bestehen, fehlt ihr doch die Erfahrung im erotischen Fach. Für diese Aussage ließ er es an Sachbeweisen nicht fehlen. So gilt Ferres - die eben sieben Kilo abgespeckt hat - nach wie vor als das "Superweib" schlechthin, Nina Hoss wurde in "Das Mädchen Rosemarie" als Edelprostituierte Rosemarie Nitribitt über Nacht zum Star, und Marie Bäumer war in "Der Schuh des Manitu" die heißeste Westernbraut der letzten Jahre. Und Kessel? Die hat mit ihrer Rolle in "Rennschwein Rudi Rüssel" hier nur wenig entgegenzusetzen.

Dass man in "Rennschwein Rudi Rüssel" weniger leicht zum Pheromon-Bomber auflaufen kann wie als Edelprostituierte, leuchtet ein. Dennoch hätte sich der Erotik-Fachmann des "Kurier" besser wie die einschlägig versiertere Konkurrenz ein wenig in Youtube umgesehen, wo besagte Frau Kessel Erfahrung im erotischen Fach jedenfalls in einer Intensität vorweist, die für eine Salzburger Jedermann-Aufführung bequem reichen müsste.

Da wurde nicht lange gefragt, sondern dezidiert festgestellt: So sexy ist Salzburgs neue Buhlschaft - in "tv media" -, und in Fellners "Life & Style", wo man auf sprachliche Originalität Wert legt: So sexy ist die neue Buhlschaft! Bettgeflüster. Sie ist alles andere als prüde. In Filmen lieferte Von Kessel heiße Sex-Szenen. Was auch in ausreichendem Maße bildlich belegt und untertitelt war: Vor der Filmkamera rekelte sich Von Kessel nackt beim Liebesspiel.

Sie kennt sich aus. "Wenn man prüde daher kommt, dann funktioniert die Geschichte von Hugo von Hofmannsthal nicht." Sophie von Kessel (39) ist sich über die Erotik der Buhlschaft bewusst. Denn das Publikum erwartet, dass die Geliebte des reichen Mannes mit seinen wilden Festen sexy, verführerisch und verspielt ist. Das weiß das Publikum von den Lugners. Und dem Leser - oder war's eine Leserin? -, der nun zum Rotstift greift, um mir mitzuteilen "Man ist sich nicht über die Erotik der Buhlschaft bewusst, sondern der Erotik, lernen Sie Grammatik", antworte ich nur: leider - kursiv!

Zum Erotik-Faktor bei Hofmannsthal hat auch der Buhle etwas zu sagen. Der sollte, geht es nach Jedermann Peter Simonischek, nicht zu zart ausfallen. Im Talk mit ÖSTERREICH gesteht der Mime: "Die Buhlschaft wird vom Publikum auch nach ihrer Oberweite bewertet. Sie muss Holz vor der Hütte haben!" Wegen der Bedeutung dieses Geständnisses wurde es wörtlich sowohl am Mittwoch als auch am Donnerstag wiedergegeben. Vor der Filmkamera mag Frau Kessel ein heißblütiges Betthupferl geben, aber auf dem Domplatz zählt Holz vor der Hütte. Ob Hofmannsthal wusste, für wen er schrieb, als er seine Moralinsuppe zusammenbraute? (Günter Traxler/DER STANDARD, Printausgabe, 26./27.7.2008)