Wenige Worte genügten, um ein Drittel des Börsenwertes des in New York notierten Kohle- und Stahlproduzenten Mechel zu vernichten. Premierminister Wladimir Putin kritisierte bei einem Treffen mit der Stahlindustrie in Nischni Nowgorod, dass Mechel für seine Rohstoffe in Russland den doppelten Preis von dem verlange, was Export-Kunden bezahlen müssten. Putin empfahl der russischen Wettbewerbsbehörde FAS, den Fall besonders gründlich unter die Lupe zu nehmen. Auch eine Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft stellte der Premierminister in den Raum.

Der Kurs des größten russischen Kohleminebetreibers und sechstgrößten Stahlproduzenten Mechel, der seit 2004 an der NYSE gelistet ist, stürzte daraufhin um rund 37 Prozent ab. Innerhalb weniger Stunden wurden rund fünf Milliarden US-Dollar an Börsenwert vernichtet.

Scharfe Worte

Ungewöhnlich scharf fielen Putins Worte über den Mechel-Chef Igor Sjusin, der derzeit in einem Krankenhaus behandelt wird und deshalb der Sitzung fernblieb, aus. "Ich denke, Sjusin sollte so schnell wie möglich wieder gesund werden. Sonst müssen wir ihm einen Doktor schicken, der alle seine Probleme säubert" , sagte Putin im russischen Fernsehen. Sjusin hält mehr als 70 Prozent an Mechel und ist laut Forbes mit einem Vermögen von 1,7 Milliarden US-Dollar der zwölft-reichste Russe.

Ähnlich scharfe Worte fand Putin zuletzt nur gegenüber Michail Chodorkowski, dem ehemaligen Chef des Ölkonzern Yukos. Chodorkowski wurde 2003 wegen Steuerhinterziehung hinter Gitter gebracht, der einst größte russische Ölkonzern zerschlagen. Russische Medien spekulieren deshalb bereits über eine Wiederholung der Geschichte.

"Schuss vor den Bug"

Analysten sind jedoch der Meinung, dass Putins Worte als Schuss vor den Bug gedacht waren. "Momentan halten wir das für eine ernsthafte Warnung an Mechel, nicht zu aggressiv in ihrem Rohmaterialangebot und mit ihrer Preispolitik zu sein" , analysiert die russische Investmentbank Uralsib. Mechel steigerte seinen Reingewinn im ersten Quartal um 162 Prozent auf 500 Millionen US-Dollar.

Investoren befürchten jedoch, dass das Unternehmen einer staatlichen Kampagne zum Opfer fällt und flohen auch am Freitag aus der Aktie. Nach der Eröffnung der Moskauer Börse RTS gaben die Mechel-Papiere um 45,6 Prozent zum Vortag nach. Anleger befürchten nun, dass Putins Worte das Investitionsklima nachhaltig schädigen könnten. Dazu kommt, dass nach monatelanger Schikane durch russische Behörden Robert Dudley, Chef des britisch-russischen Ölkonzerns TNK-BP, das Land verlassen hat. "Der letzte Zug, der die Optimisten aus dem russischen Kapitalmarkt führt, ist gerade aus der Station gefahren" , sagte Analyst Chris Weafer von der Uralsib Bank. Ein von Reuters nicht namentlich genannter Analyst gab an, dass das hohe Risiko am russischen Kapitalmarkt bisher nur durch die hohen Rohstoffpreise überdeckt wurde. (Verena Diethelm aus Moskau, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26./27.7.2008)