"Erotische Architektur" von Zünd-Up (Timo Huber, Bertram Mayer, Michael Pühringer, Hermann Simböck), 1969.

Foto: Zünd-Up

Wien - Carolee Schneemann, Gina Pane oder Marina Abramovic definierten Body-Art, hinterfragten in ihren Performances Geschlechterrollen, brachten Feminismus als Thema in den Kunstdiskurs. Gordon Matta-Clark, Dennis Oppenheim oder Christo überschritten die Grenzen zwischen Architektur und bildender Kunst, bezogen damit Stellung im sozialen Raum.

Aufbruch war angesagt. Spurlos ging der 1968er-Sommer aber auch an Österreich nicht vorüber. Auch hier entschieden sich diverse Avantgardekörper zur Performation, beschlossen, der faktischen Realität Wunschbilder entgegenzusetzen - Schreckensbilder für die Durchschnittskörper. Vor allem im Bereich der Architektur wurden international nachhaltig einflussreiche Positionen besetzt. Die bildende Kunst widersetzte sich so automatisch wie vehement dem Reiz fantasievoll gestalteter Oberflächen, kommentierte bisweilen zynisch die naiven Ideologien mancher Kollegen aus London, New York oder San Francisco.

Es galt, eher an Oberflächen zu kratzen, denn solche aufzupolieren. Die Malerei wurde einzig zum Zweck neuer Bildfindungen überwunden, wozu schon einmal Matratzen, die gemeinen Nachtlager, ausgeweidet wurden.

Kollektive formierten sich meist für den Moment, Drogenexperimente fanden schon einmal unter ärztlicher Aufsicht statt (Arnulf Rainer zeichnete 1964 an der Universitätsklinik von Lausanne gut bewacht unter Mescalin.)

Und dann gab es natürlich die Galerie nächst St. Stephan, die Speerspitze der Avantgarde (1954 durch Monsignore Otto Mauer gegründet). Nachdem Joseph Beuys dort im Juli 1967 seine Aktion Eurasienstab abgehalten hatte, kam es 1968 zu der neben den Aktionen der Aktionisten wohl wichtigsten Manifestation in Wien: Super-Design mit Bruno Gironcoli, Roland Goeschl, Hans Hollein, Oswald Oberhuber und Walter Pichler - eine Schau, in der Hans Holleins mobile Architekturen auf Walter Pichlers Prototypen und Bruno Gironcolis erste Ansätze für Mutterschiffe trafen.

Gironcolis Konstruktionen lassen sich durchaus in die Reihe der klassischen Junggesellenmaschinen stellen, als Weiterentwicklung jener Apparate deuten, die das Unmögliche möglich, das Irrationale denkbar, das Unnütze sinnvoll gestalten, Maschinen, die alle denkbaren Obsessionen auf ewig erfüllen. Andere wie Walter Pichler schlugen durchaus funktionale Erweiterungen des vermeintlich gottgegebenen Körpers (Fingerstreckapparate) vor.

Frühe Provisorien

Zeitgleich forderte die Gruppe Salz der Erde die "Abschaffung des Todes und seiner Zuhälter" in genau jener Zeit, da "durch Historisches das Röhren unseres Jahrhunderts donnerte" (Zünd-Up). Hans Hollein postulierte schlicht: "Alles ist Architektur" und collagierte Rolls-Royce-Kühler in optimistische Skylines oder entzog Häusern den sicheren Standpunkt am eigenen Fundament. Und baute im kleinen Rahmen dennoch Standortgebundenes - das Kerzengeschäft Retti in Wien etwa. Manchen war das dann doch zu konventionell: "Provisorische Architektur ist aggressiv (...), sie baut keine Dome, auch keine Kerzenläden, sie simuliert Veränderung", bemerkte die Gruppe Haus-Rucker-Co (1973). Viele Jahre später sollte deren Mitglied Laurids Ortner dann doch bauen. Das Wiener Museumsquartier zum Beispiel, den Ort, an dem jetzt die Träume von damals präsentiert werden.

Auch Coop Himmelb(l)au haben längst zum Grundriss zurückgefunden. 1968 verlautbarten Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky: "Unsere Architektur hat keinen physischen Grundriss mehr, sondern einen psychischen. Es gibt keine Wände mehr. Unsere Räume sind pulsierende Ballons. Unser Herzschlag wird zum Raum, unser Gesicht ist Hausfassade." Der Ansatz führte das Büro bis zur Europäischen Zentralbank, die utopische Architektur der 1968er-Jahre ist mittlerweile als BMW-Welt umgesetzt. Der Rückblick auf die Mind Expanders - der Titel ist einer Werkgruppe von Haus-Rucker-Co entlehnt - hängt bis zum 30.August im MUMOK. (Markus Mittringer  / DER STANDARD,  Print-Ausgabe, 25.7.2008)