Leuchtturm der Lower East Side: Das New Museum sucht die Nähe der Kunstboheme und hebt sich doch bewusst von seiner Umgebung ab.

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New York - Die Natur ist am Ende. Was folgt, sind Vorstellungen von ihrem Rückschlag. In einer wild gewordenen Umwelt ereignen sich Katastrophen, zerfallen menschliche Gewissheiten, drohen unerforschte Tiefen, spielen Überlebende mit ihren Deformationen.

Fast 30 Künstler haben zu "After Nature" beigetragen, der laufenden Ausstellung im New Museum in Manhattan. Sie nähern sich dem Thema so bekannt schräg wie Maurizio Cattelan, dessen ausgestopftes Pferd mit dem Kopf scheinbar durch die Wand stößt - in vier Meter Höhe; so lakonisch wie Robert Kusmirowski, der die Hütte des "Unabombers" und Einsiedlers Theodore Kaczynski in einem Raum nachgebaut hat; oder so präzise überlegend wie Diego Perrone mit großformatigen Fotos von irritierenden Erdlöchern.

Dass hier Kunstschaffende aus vielen Ländern und mehreren Generationen zusammenkommen, ist programmatisch. Das Haus an der Bowery bezeichnet sich als einziges Museum der Stadt, das sich ausschließlich der Gegenwartskunst widmet. Tatsächlich ist New York zwar reich an Schau- und Forschungsstätten für Formen der Kunst bis zur Moderne, doch was danach kam, blieb den mutigeren Galerien überlassen.

Unübersehbares Zeichen

Mit dem Programm, zeitgenössischen Künstlern eine permanentere Heimstatt anzubieten, ist die Kuratorin Marcia Tucker vor drei Jahrzehnten angetreten. Sie setzte es zunächst in einem Bürozimmer um, dann an der New School, in Soho, schließlich an der jetzigen Adresse, wo sich die Ausläufer von Soho mit denen von Chinatown vereinigen und gemeinsam gegen die alte Lower East Side vorstoßen.

Hier setzt das "neue Museum" ein unübersehbares Zeichen. Die Bowery war die längste Zeit ein Hafen für Gestrandete und für solche, die in ihrer Nähe leben konnten, und es war nur eine Frage der Zeit, bis der Immobilienmarkt sie vereinnahmen würde. Den schicken Diners und Designer-Hotels in der Umgebung dient das Museum seit vergangenem Dezember als Leuchtturm.

Das Architektenteam Sejima+ Nishizawa/SANAA errichtete hermetische Boxen, leicht zueinander verschoben und sechs Stockwerke hoch, neben den alten Backsteinbauten aus der Gründerzeit früher Einwanderungswellen. Die sind dunkelrot, chaotisch angereichert mit den Spuren ihrer Nutzung. Davon hebt das New Museum sich bewusst ab. Außen ist es von einem silbergrauen Aluminiumgitter ummantelt, innen präsentiert es sich noch aseptisch heller. Bis auf den grauen Fußboden und den grünen Lift strahlt alles in Weiß: die Räume sowieso - alle Galeriestockwerke als klassische "white cubes" -, dazu Stühle, Tische, Regale, Computer; insgesamt bilden sie eine Tabula rasa und eine radikale Gegenposition zu den "dreckigen", bewusst ungehobelten Gestaltungspraktiken vieler Galerien im südlichen Manhattan (von der Dachterrasse hat man übrigens einen wunderschönen Überblick).

Von diesem Viertel und seinen Künstlern, soweit sie nicht schon nach Brooklyn oder noch weiter weg verdrängt worden sind, mag das Museum einen Teil seiner Energien beziehen. Seinen Horizont indes zieht es weiter. Unter dem Motto "Museum as hub" ist es mit Partnerinstitutionen in Eindhoven, Mexiko-Stadt, Dongducheon (Südkorea) und Kairo verbunden. Dessen Townhouse-Gallery ist mit fünf Künstlern und deren Annäherung an Kairos Stadtviertel Antikhana an der Bowery vertreten. (Michael Freund aus New York / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.7.2008)