Bild nicht mehr verfügbar.

"Glitter and Doom": Tom Waits begeistert als genialischer Dreigroschenrocker.

Foto: APA/EPA / Albert Olive

 Österreich stand schon wieder nicht auf dem Tourplan.

Wenn das Wünschen nichts mehr hilft, bleibt dem Menschen die Klage. Aggressiv, unversöhnlich, weinerlich, selbstmitleidig, unbelehrbar, schwer vermittelbar, sentimental. Tom Waits klopft bei einem seiner zwei stürmisch umjubelten Konzerte im Prager Kongresszentrum gleich ordentlich auf den Busch. Und er schlägt Schaum: "I'll never see heaven or home!"

Waits rudert und rührt mit dürren Armen und Beinen in der Ursuppe des Blues. Der 58-Jährige stampft wuchtig mit dem Fuß im Takt. Der Leib zuckt, die Gesichtszüge entgleisen. Mit jeder Menge Sturm und Drang Richtung Rampe und beherzt-dringlichem Röcheln kombiniert er, aus dem Liederbuch der Übersehenen und Vergessenen vortragend, den eigenen Hadern Lucinda aus seinem letzten Album Orphans - Brawlers, Bawlers & Bastards mit dem steinalten Leadbelly-Klassiker Ain't Going Down To The Well No More.

Er steht buckelig und linkisch auf einer kunstvoll nachgebauten, heruntergekommenen Empore aus einem imaginären Jukejoint der Südstaaten während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Hälfte aller bunten Glühbirnen darauf ist längst mit den besseren Zeiten in diesem Lokal durchgebrannt. Die Birnen wurden nie ausgewechselt. Weil es ja ohnehin egal ist, welcher minderbegabte Wandersänger sich gerade mit seiner stoisch an den Instrumenten klebenden Begleitband für Geld oder für Liebe ohne Bezahlen die Seele vor einer Handvoll dumpfer Bauerntrampel aus dem Leib brüllt. Hier wirbelt im gnadenlos auffliegenden Dreck eines noch intakten Spotlights ein vergeudetes Leben zwischen klapprigen Boogie-Akkorden herum.

Man mag es der perfekt-unperfekten Inszenierung nicht ansehen, aber selbst an schlechten Tagen könnte Waits unter der Regie seiner Ehefrau Kathleen Brennan, einer ehemaligen Drehbuchdoktorin in Hollywood, die seit 1983 auch einen Anteil an der Text- und Imageautorenschaft ihres Mannes trägt, diese Rolle emotional beängstigend unbeteiligt ausfüllen, ohne dass es jemand merken würde.

Glanz und Verderben

Nach einer mehrjährigen Pause ist Waits seit 1999 und zentralen Alben wie Mule Variations und dem Meisterwerk Real Gone für handverlesene Konzerte auch alle heiligen Zeiten wieder live in Europa aktiv. Unter konsequenter Auslassung Österreichs. Er befindet sich derzeit mit einer hervorragenden fünfköpfigen Begleitband bis Ende Juli auf einer Glitter And Doom betitelten Tour in ausgesuchten Theater- und Konzertsälen fern der üblichen Metropolen.

Und Waits rührt nicht nur um. Er schöpft auch aus dem Vollen. Aktuellere, souverän mittels Schrottplatzperkussion (Sohn Casey Waits), billiger Dritte-Hand-Gitarren (Omar Torrez), Keyboards (Patrick Warren) und Blasinstrumenten (Vincent Henry) sowie antiker Lautsprecher mit künstlicher Patina versehene Rhythm-'n'-Blues-Bluesstampfer wie Lie To Me und Jesus Gonna Be Here sind zu hören. Ebenso wie die solistisch exzessiv zelebrierte kubanische Lumpenboheme-Rumba Hoist That Rag rumpelt vor den Zugaben ein ausgiebig mit Glitzerregen zelebriertes Make It Rain. Diese Songs poltern uneinsichtig und harsch an der Grenze zum Atonalen in den Prager Zweitausendersaal. Der L'amour-Hatscher All the World Is Green, das Röchelfalsett von Dirt In The Ground, sie werden im strenge sozialistische Machtästhetik der 70er-Jahre verbreitenden Kongresszentrum emphatisch empfangen.

Nach dem sperrigen, an Brecht/ Weill erinnernden Eyeball Kid, das der mittlerweile an Plastiken von Franz Xaver Messerschmidt erinnernde Waits aus seinen Eingeweiden presst wie eine pneumatische Tür, die nicht mehr zugehen will, wird dann an die erste große Karrierephase vor dem großen Bruch mit Swordfishtrombones vor 25 Jahren erinnert. Am Stutzflügel röchelt sich der Dreigroschenrock-Darsteller zurück in seine feucht-traurigen Zeiten als sentimentalistischer Barpianist: On The Nickel, Invitation To The Blues, Tom Traubert's Blues.

Bei Innocent When You Dream schließlich schunkelt und singt der Saal inklusive anwesender Prominenz wie Václav Havel oder US-Schauspieler Tim Robbins einverständig mit. Diese Träume öffentlich mit Mut zur Würdelosigkeit auszuleben, das ist die künstlerische Herausforderung!

Tom Waits, mittlerweile oft gar sehr bequem in seinen selbsterschaffenen Klischees erstarrt, kommt hier in der Wiederbelebung alter rührseliger Gebrauchsanleitungen für das eigene Leiden an der Welt und seiner künstlerischen Verarbeitung kurz und schmerzvoll möglichst nahe an sich selbst heran. Der Mond muss ja nicht immer nur als "Mond" aus Pappe angeheult werden. Er pickt ja irgendwo da draußen über Prag ganz real am Himmel: "I'll shoot the moon / Right out of the sky / For you baby / I'll shoot the moon!" (Christian Schachinger aus Prag / DER STANDARD,  Print-Ausgabe, 24.7.2008)