Im Chaos der alten Geschichte: In Bregenz wird Kreneks Bühnenwerk "Karl V." als
ausufernde Unterrichtsstunde interpretiert

Foto: Festspiele

Inszeniert Karl V.: Uwe Eric Laufenberg.

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Bregenz - Die Sonne ging in seinem Reich nie unter: Jedem Schulkind ist Karl V., der transkontinentale Herrscher des 16. Jahrhunderts, unter diesem Schlagwort vertraut. Auch das Interesse des Komponisten Ernst Krenek am König von Spanien und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches begann bereits in Kreneks Schulzeit.

Als ihn Staatsoperndirektor Clemens Kraus damit beauftragte, eine Oper für das Haus am Ring zu schreiben, wusste er offenbar sofort, wer sein Protagonist sein sollte - jener Kaiser, der für ihn "kein strahlender Held mit einfachen Konturen, kein Mann der unkomplizierten Tat" war, "sondern ein Mensch voller Zweifel und großer Unentschlossenheit, niedergedrückt von den Problemen seines Amtes".

Dazu kam, dass Krenek sein Werk eindeutig politisch motiviert verstand, zugleich patriotisch-österreichisch wie gegen den Ständestaat gerichtet. Zwar tragisch, aber kein Wunder also, dass man die Uraufführung, die für 1934 geplant war, unter dem Druck der Heimwehr kurzerhand absagte. Erst vier Jahre später wurde die Oper in Prag erstmals gespielt.

Seither wurde sie zwar nur selten aufgeführt, ist aber vielen schon deswegen ein Begriff, weil sie die erste konsequent in Zwölftontechnik komponierte Oper ist. Für Uwe Eric Laufenberg, der sie in Bregenz inszeniert, ist "allein das schon eine Leistung. Sie war ja die einzige Oper, die zwölftonmäßig vollendet wurde, Arnold Schönbergs Moses und Aron und Alban Bergs Lulu sind ja Fragment, und der Wozzeck ist nicht so konsequent geschrieben."

Vor der Hermetik, die manche der Zwölftonmusik gerne nachsagen, fürchtet sich der Intendant des Potsdamer Hans-Otto-Theaters und designierte Leiter der Kölner Oper indessen nicht. Auch Sperrigkeit ist für den Regisseur nicht etwas, das man unbedingt vermeiden müsse: "Das Sperrige ist ein Ausdruck der Zeit, in der das Werk geschrieben wurde, und hat eine Expressionskraft für sich."

Schon Krenek selbst hatte an Kompositionen von Schönberg und Webern erfahren, dass Zwölftonmusik eine innere Lebendigkeit besitzt. In seinen im kalifornischen Exil geschriebenen Erinnerungen Im Atem der Zeit schildert der Komponist "eine Welt künstlerischer Schönheit und Vollendung, die ich nie erwartet hätte".

Laufenberg verweist in diesem Zusammenhang gern auf Thomas Manns Roman Doktor Faustus, in dem eine "Sprengung" der Musik beschrieben sei: "Dieser Gedanke an den Untergang der deutschen Kultur war zu dieser Zeit geradezu visionär."

Krenek entwickelte seine auf eigene Art visionäre Haltung - vor allem in der virtuosen Handhabung der Reihentechnik, der auch er den höchsten Ausdruck abtrotzt - nun auf der Basis eines persönlich gefärbten Geschichtsverständnisses. Die historische Perspektive schafft er in Karl V. durch Rückblenden, während der Kaiser am Ende seines Lebens bei einem Mönch beichtet - für Laufenberg das zentrale Problem des Werks, aus dem er aber eine Tugend gemacht habe: "Natürlich bekommt Krenek dadurch etwas von einem Musterschüler, dass er dem Schönberg hinterher wollte - das haftet dem Werk sicher an."

Die Perspektive der Bregenzer Inszenierung reflektiert auch das, indem das Bühnenbild ein Klassenzimmer darstellt - die "Situation der Dreißigerjahre, wo der Lehrer Krenek versucht, seinen Schülern Karl V. beizubringen." Keinen "Historienschinken, sondern eine Unterrichtsstunde" wolle er zeigen, so Laufenberg, "Guido-Knopp-mäßig" sollte die Sache aber dennoch nicht werden.

Krenek-Schwerpunkt

Weitere aufschlussreiche Programmpunkte sind auch sonst noch in Bregenz zu erwarten: Die Hausoper bildet den Mittelpunkt eines veritablen Krenek-Schwerpunkts, der in Zusammenarbeit mit dem Kremser Ernst-Krenek- Institut konzipiert wurde.

Neben Konzerten ist die Operettenproduktion im Theater am Kornmarkt Kreneks "Satire mit Musik" Kehraus um St. Stephan gewidmet - ebenso wie Karl V. ein Spiegel der Zwischenkriegszeit, allerdings auf viel unverblümtere Weise.

Für den Dirigenten John Axelrod, der den Kehraus musikalisch betreut, handelt es sich darüber hinaus auch um ein sehr "wienerisches" Stück: "Es gibt Walzer, Kaffeehaus-, Salon- und Kabarettmusik und außerdem den wundervollen Klang der Glocken des Stephansdoms. Für mich als Amerikaner ist gerade diese Mannigfaltigkeit der verschiedenen Musikstile das typisch Wienerische." (Daniel Ende/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. 7. 2008)