Jung und geflohen: Wer es ohne Begleitung nach Österreich schafft, muss sich auf sein Alter prüfen lassen - mit seltsamen Methoden.

Foto: Standard/Heribert Corn

Wien/Traiskirchen - Eine ärztliche Untersuchung und der allgemeine Eindruck, den ein Mensch auf einen Mediziner macht, können die Frage, ob die Person schon 18 ist, nicht beantworten. Zu diesem Schluss kamen Experten anlässlich einer Konferenz auf Initiative des UN-Flüchtlingshochkommissariats über Altersschätzung bei Asylwerbern im Juni 2007. Alfred Klabuschnigg, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde aus dem burgenländischen Neudörfl, traut es sich dennoch zu.


Seit zwei Monaten führt der 60-jährige Gerichtssachverständige und Experte für Ultraschalluntersuchungen im Auftrag des Bundesasylamts Traiskirchen Altersgutachten über alleinreisende jugendliche Flüchtlinge durch, wenn diese angegeben haben, minderjährig zu sein, was ihnen umfassenderen Schutz garantieren würde. Klabuschnigg erklärt sie in rund 90 Prozent der begutachteten Fälle zu über 18-Jährigen.


Das hat für die Betroffenen weitreichende Konsequenzen, wie Gerhard Wallner, Beauftragter für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) bei der Asylkoordination, erläutert: "Sie können in jenes Land zurück abgeschoben werden, das sie innerhalb der EU als erstes betreten haben, während dies bei unter 18-Jährigen nur in Ausnahmefällen möglich ist."


"Bis zu 15 Altersgutachten wöchentlich" - so Wallner - habe Klabuschnigg seit Mai 2008 erstellt. Jedes hat ihm 450 Euro eingebracht: Für eine Expertise, die samt schriftlicher Ausfertigung "vielleicht eine Stunde" dauere und mittels "ungeeigneter Untersuchungsmethoden" stattfinde.


"Aufgrund der äußeren Inspektion, des äußeren Eindruckes sowie der sonografischen Messgrößen von Nieren und Schilddrüse" nahm der burgenländische Kinderarzt etwa am 15. Mai einen Flüchtling aus Somalia in Augenschein. In dem Gutachten, das dem _Standard vorliegt, kommen auch Kopfumfang, Zahnstand, das "dichte und gekräuselte Haupthaar" und "bräunlich bis schwärzliches Hautcolorit" des Untersuchten vor. Schlussfolgerung: Der junge Mann sei altersmäßig zwischen "22 und 24 Jahren, jedoch deutlich über dem 18. Lebensjahr" anzusiedeln (siehe Faksimile).


Widersprüchliche Beilage


Der Expertise liegen drei Seiten aus einem Lehrbuch bei. Diese besagen, dass Nieren und Schilddrüse umso länger und voluminöser sind, je schwerer ein Mensch ist - mehr nicht. Die Messangaben würden denn auch keine "Rückschlüsse auf das chronologische Alter" zulassen, heißt es in einem Gegengutachten, das im Auftrag der Asylkoordination von Andreas Schmeling, einem Experten für Rechtsmedizin an der Berliner Charité, verfasst wurde.


Dem widerspricht Klabuschnigg im Gespräch mit dem STANDARD: Minderjährigen- und Erwachsenennormwerte bei Niere und Schilddrüse gebe es durchaus. Entspreche das Volumen der Organe etwa bei einem "Menschen, der subjektiv älter wirkt", der Erwachsenennorm, könne von Volljährigkeit ausgegangen werden. Der Kritik der Konsensuskonferenz an medizinischen Expertisen könne er sich nicht anschließen, weil an diesem Gremium "von ärztlicher Seite her ausschließlich Kinder- und Jugendpsychiater teilnehmen" - und der psychiatrische Zugang ein anderer sei.
Innenministeriumssprecher Rudolf Gollia hat mit der Beauftragung Klabuschniggs kein Problem. Im Gegenteil, die Durchführung medizinischer Gutachten zur Altersfeststellung entspreche den Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofes aus dem Jahr 2007. Dieser hatte die Praxis außer Kraft gesetzt, dass Bundesasylamtsreferenten die Altersfrage "aufgrund der Aktenlage" und ihres subjektiven Eindrucks entschieden.


Vielmehr - so der VwGH - müsse es ein ärztliches Gutachten geben. Doch derartige Expertisen sind in den vergangenen Jahren wiederholt auf Ablehnung gestoßen: etwa jene, die sich auf Methoden wie das inzwischen höchstgerichtlich verbotene Handwurzelröntgen stützten. Aber auch Fünfzeilengutachten durch Psychologen wie vergangenes Jahr in Linz und Salzburg. Stattdessen, so Wallner und andere Experten, müsse man das Verhalten eines Jugendlichen über längere Zeit beobachten, um sein Alter einigermaßen korrekt einzuschätzen.


Solange jedoch Klabuschnigg junge Flüchtlinge für volljährig erkläre, gebe es nur eine Möglichkeit, um zu verhindern, dass auch Minderjährige abgeschoben werden: "Wir müssen Gegengutachten durchführen". Doch das in allen Zweifelsfällen zu tun, übersteige die Möglichkeiten der NGO. (Irene Brickner, DER STANDARD - Printausgabe, 23. Juli 2008)