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Der beim EU-Beitritt 1994 als Gegenleistung für den Transitvertrag vereinbarte Ausbau der Bahn im Unterinntal wurde für die ÖBB zu einem Schuldenloch.

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Wien - Kaum sind die Millionenwertberichtigungen für ihre (Buch-)Verluste produzierenden Veranlagungsgeschäfte in der Bilanz 2007 untergebracht, beginnt in der ÖBB wieder das große Rechnen. Ungemach droht der mit 10,6 Milliarden Euro verschuldeten Staatsbahn im laufenden Geschäftsjahr nicht nur aus der Ferne der US-Kreditkrise in Form weiterer Abwertungen und Rückstellungen für die unter Wasser befindlichen Swap-Geschäfte mit der Deutschen Bank, sondern ganz in der Nähe: in Tirol.

Konkret ist es der viergleisige Ausbau des Hochleistungsstreckennetzes im Unterinntal, der ÖBB-Manager zittern lässt. Der Grund: Der 1999 von der (2005 mit der ÖBB-Infrastruktur Bau AG fusionierten) Brennereisenbahngesellschaft (BEG) begonnene Bau wird viel mehr kosten als 1,933 Milliarden Euro. In der Bahn kalkuliert man mittlerweile mit zusätzlichen Kosten von 260 bis 270 Millionen Euro.

Fast eine Milliarde mehr

Zur Erinnerung: Erst im Februar 2007 hatte der Rechnungshof die exorbitante Kostensteigerung bis 2005 gegeißelt, weil sie um 581 Millionen Euro über den 2001 bei der Übertragungsverordnung vorliegenden Prognosekosten lag. Damals hatte der (inzwischen auch als Tiroler SPÖ-Verkehrslandesrat verabschiedete) BEG-Chef Hans Lindenberger versichert, nicht die bereits damals befürchteten 1,6 Milliarden Euro zu brauchen, sondern nur 1,352 Mrd. Euro.

Nach der Bahnreform im Jahr 2005 bei Erstellung des ersten ÖBB-Fünfjahresrahmenplans bis 2010 stellte sich heraus, dass in den ersten sechs Jahren nicht nur die Grundablösen deutlich teurer gewesen waren, sondern auch Planungs-, Projekt- und Baukosten sparsam kalkuliert und nicht valorisiert worden waren. Die Kostenprognosen wurden auf 1,933 Milliarden Euro nach oben revidiert und im März 2007 im Rechnungshofausschuss als Plafond, der nicht einstürzen kann, bestätigt.

Im Februar 2008 bei Erstellung des ÖBB-Rahmenplans bis 2013 war plötzlich klar: Es sind insgesamt 2,074 Milliarden Euro notwendig, weil sich die Planungskosten für den Abschnitt Kufstein-Baumkirchen von 73,1 auf 75,3 Millionen Euro und die Baukosten für die Strecke Kundl/Radfeld-Baumkirchen von 1,962 auf 1,987 Milliarden werden; der Bau von Verknüpfungsstellen und die Modernisierung der Bestandsstrecke schlagen mit 11,5 statt 10,3 Millionen Euro zu Buche.

Alles Makulatur

Fünf Monate später ist offenbar alles Makulatur. Die „teuerste Lärmschutzwand Europas", wie die Unterinntaltrasse in der ÖBB spöttisch genannt wird, wird noch teurer. Offiziell kommentiert man dies in der ÖBB nicht, hinter vorgehaltener Hand bestätigen hochrangige Eisenbahner die aus dem Aufsichtsrat gesickerten Informationen. In den Kontrollgremien von ÖBB-Holding und -Infra-Bau AG ist man mittlerweile „sehr besorgt", zumal es derzeit keine Regierung gibt, die zusätzliche Gelder locker machen oder Milliardenbauprojekte der Bahn nach hinten schieben würde.

Klar ist dafür: Für Brisanz in der Ende Juli geplanten außerordentlichen Holding-Aufsichtsratssitzung ist gesorgt. Dagegen seien die überfälligen Vorstandsbesetzungen in Holding, Personenverkehr, Infa-Bau AG und Postbus „Peanuts", wie ein Kapitalvertreter zum _Standard sagt. Denn die Vorsorgen für die sich abzeichnenden Mehrkosten um bis zu 270 Millionen Euro werden für Noch-Holding-Finanzchef Erich Söllinger (sein Vertrag endet wegen der Swap-Affäre vorzeitig am 31. Oktober, Anm.) zum Problem. Er muss sie laut den internationalen Bilanzierungsregeln IFRS, denen die ÖBB mit ihren Milliardenanleihen unterworfen ist, sofort vornehmen. Zusammen mit jenen für die Swap-Geschäfte scheint eine rote Bilanz im Jahr 2008 unvermeidlich.

Klar ist auch, dass sich die Chancen auf Vertragsverlängerung für Infra-Bau-Vorstandsdirektor Georg-Michael Vavrovsky (er ist seit Jahren für Infrastrukturerrichtung zuständig) durch das Unterinntal-Debakel drastisch verschlechtert haben. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.7.2008)