Tim Walker, "Pictures".

Foto: Cremer

Dieses Paradies stellt sich in skurrilen, extravaganten Arrangements, zum Teil bizarren "tableaux vivants" dar. Die Kulisse für Walkers surreal anmutende Traumwelten bilden englische Landhäuser, kristallene Paläste, imperiale Schlösser und idyllische Landschaften. Jenseits der äußeren Fassaden aber sind Doppelbödigkeiten, Abgründe, verstörende Widerhaken und Doppeldeutigkeiten versteckt, hinter den Inszenierungen lauern trügerische Manierismen.

Nach dem Studium am Exeter Art College arbeitete der 1970 geborene Londoner Tim Walker als Assistent bei Richard Avedon, dem Grandseigneur der Fotografie in New York. Schon zuvor fand Walker als Praktikant der Vogue, als Archivar der Fotonegative Cecil Beatons initialisierende Inspirationen seiner eigenen Bildsprache, die seit 1994 weite Strecken der britischen und italienischen Vogue prägen.

Das simpel Pictures betitelte Buch, das zeitgleich zur 2008 im Londoner Museum of Design gezeigten Retrospektive seines bisherigen OEuvres erscheint, präsentiert die fantasievolle, detailverliebte Schaffung fiktiver Welten. Skizzenbücher, Gedanken, Collagen, sowie literarische Vorlagen illustrieren die fantastischen, narrativen Reisen. Zitate bekannter Künstler wie Lucian Freud, Margritte oder Dalí hinterlassen Spuren im sexuell Zweideutigen, Extravaganten. Vergänglichkeit, Verlust und Enttäuschung kontrastieren mit der oberflächlichen Schönheit und Maßlosigkeit der Haute Couture. Inmitten der Opulenz der Modewelt konterkarieren Anachronismen den ersten Eindruck, widerlegen den Dernier Cri der Fashionistas. Persiflagen auf die modische Zeitlosigkeit sowie pseudoidyllische Märchenwelten pervertieren die vordergründige, in Wahrheit trügerische Dämonie der Gemütlichkeit. Neoromantisch könnte man meinen, Walkers Models sind ProtagonistInnen, Feen und Faune inmitten wilder Ideen kreativer Kräfte, in einem vormittelalterlichen Avalon, um der alltäglichen Zerstörungswut und Unmenschlichkeit entgegenzutreten. Psychedelisch verfärbte Tiere, unbotmäßige Dysfunktionen, von Charme désolé beseelte, verfallende, ehemals imperiale Paläste sind das Ergebnis. Dem Betrachter erschließt sich eine fantastische, fantasievolle, faszinierende Welt des Surrealen. Ironisch, subtil und bizarr. Very british, indeed. (Gregor Auenhammer, DER STANDARD/Printausgabe, 19./20.07.2008)