Stefan Herheim zum neuen Bayreuth-Team: "Katharina und Eva Wagner haben frische Ideen, die sich bereits jetzt spüren lassen."

Foto: Festspiele

Er provoziert mit ungewohnten Sehweisen und begeistert mit Opulenz. So wurde Stefan Herheim im Vorjahr zum "Regisseur des Jahres" . Jetzt stehen dem smarten Norweger aber erstmal die Bayreuther Hügelweihen bevor, und er wird mit seiner Sicht auf Parsifal sicher Wagnerianer in Rage bringen. Auch, weil er dessen Rezeption mit ins Visier nimmt, das Sterben im Ersten Weltkrieg thematisiert und auch Hakenkreuzfahnen über Wahnfried wehen lässt. Eine Mini-Götterdämmerung zu Klingsors Ende ist auch dabei.

Standard: Ist der Grüne Hügel wirklich so ein magischer Ort?

Herheim: Als ich das erste Mal auf Einladung von Gudrun und Wolfgang Wagner hier eine Aufführung erlebt habe, war ich von der Aura des Ortes beeindruckt; doch sie ist eine parfümierte Nebelwolke, die schnell verfliegt - das wirklich Magische liegt woanders. Für mich ist der Genius Loci der Inszenierungsarbeit hier in Bayreuth vor allem die Möglichkeit, mit motivierten Künstlern auf allen Ebenen zusammenarbeiten zu dürfen. Der Mythos Bayreuth ist dabei besonders für den Parsifal entscheidend, nicht nur weil er erst seit dem Kriegsjahr 1914 andernorts aufgeführt werden darf, sondern weil er erst durch Festspielhausakustik authentisch wiedergegeben wird.

Standard: Es gibt ja eine Debatte um die Zukunft der Festspiele. Was würden Sie sich denn wünschen?

Herheim: Zunächst einmal, dass die unwürdig spekulierende Gerüchteküche aufhört zu kochen und wir uns den eigentlichen Zutaten und Rezepten eines guten Mahls zuwenden. Inhaltliche Diskussionen um die Zukunft werden gebraucht. Das avisierte Team Katharina/Eva hat frische, produktive und vor allem öffnende Ideen, die sich bereits jetzt auf administrativer und kreativer Ebene spüren lassen.

Standard: Wie gehen Sie denn mit der quasi religiösen Aura beim "Parsifal" um? Darf man da mit einem Frontalangriff rechnen?

Herheim: In Parsifal haben wir es nun mit einer kunstreligiösen Aura zu tun, die zum Teil des Werkes geworden ist. Mir ist dabei immer an einer Entfaltung und Gestaltung der Partitur gelegen und niemals an Provokation als Effekt. Ihrer Frage legt ja nahe, dass wir es im Werk oder bei den Zuschauern mit "dem Feind" zu tun hätten. Im Gegenteil: Wir zeigen das von Wagner so genannte Bühnenweihfestspiel: Mit Bühne und Spiel wird der theatrale Erzählrahmen gezimmert, in dem dann das Bild eines überhöhten und überhöhenden Weihfests gefasst wird.

Standard: Ihre Inszenierungen waren bisher immer temporeich. Verträgt sich das mit dem Parsifal? Müssen Sie sich ausbremsen?

Herheim: Nein, ich muss im Werk die disponierte Dynamik inszenieren, d. h. meiner Musikalität dienend gehorchen. Musik beflügelt meine Fantasie und Bilderfindung. Seit der Uraufführung 1882 ist die Aufführungsdauer immer länger geworden - denken Sie nur an die nüchtern klare Aufnahme von Boulez und die opulent breite Einspielung von Levine: Es wird schnell offensichtlich, zu welch unterschiedlichen Bildern die gleichen Noten zusammengefügt werden können. Das Aufregende am Musiktheater ist ja, dass erst in der Aufführung diese Kunst entsteht.

Standard: Darf man damit rechnen, dass Sie in einen Diskurs mit Vorgänger-Versionen treten?

Herheim: Mein Team und ich fangen immer mit der Partitur an. Kulturgeschichtlich verorten wir unsere Interpretation zunächst im wilhelminischen Deutschland. Wir aktualisieren nun nicht eine bayreuthianische Verklärung, sondern versuchen, die psychologisch ausgestaltete Biografie des reinen Toren und die kulturgeschichtlich vergrößerte Identitätsfindung der deutschen Nation zu erzählen. Bei beiden Erzählsträngen geht es um die Versprechen und Perversionen des Kernbegriffs Erlösung.

Parsifal erzählte die Geschichte von Männlichkeit und von alten patriarchalischen Machtstrukturen. Titurel, Gurnemanz, Amfortas, Klingsor und Parsifal sind Figurationen von Männlichkeit, der wir in unterschiedlichen Stufen der Macht und Ohnmacht begegnen - immer in Positionierung zum zentralen Begriff der Erlösung. Dieser bezeichnet eine gnädige Gewährung des ersehnten Heilszustands durch eine höhere Macht und nicht etwa Emanzipation als eine realisierbare Befreiung.

Mein Theaterverständnis unterscheidet sich grundsätzlich von jenem Christoph Schlingensiefs, dessen Inszenierung ich mehrfach gesehen habe. Während er dem nüchternen Dirigat von Boulez einen geballt eigenen Kosmos entgegengesetzt, ist mir an einer Entfaltung der Partitur in enger Zusammenarbeit mit Maestro Daniele Gatti gelegen.

Standard: In Essen haben Sie den Don Giovanni in der Premiere selbst gespielt - mal unernst gefragt, welche Figur im "Parsifal" würden Sie denn doubeln, zu welcher Figur haben Sie einen besonderen Draht?

Herheim: Die Personengalerie in Parsifal bietet eigentlich keinen "identifikatorischen" Einstieg in das Geschehen. Umso wichtiger schien es uns, durch das Lesen des Werkes als unheimliche Kindergeschichte aus dem vorletzten Jahrhundert und Initiationserzählung einer Nation mehrfach Möglichkeiten zur Identifikation zu schaffen. Der Wutausbruch Kundrys am Ende des 2. Aufzugs ist mir ebenso nah wie Amfortas' leidenschaftliche Aufforderung, ihn abzustechen, und auch die aus falschem Ehrgeiz getätigte Selbstkastration Klingsors wird vielen Künstlern ebenso vertraut sein, wie das anfängliche Unwissen Parsifals ... Ich habe einen Draht zum Wagner'schen Welt-Theater, sehe mich aber nicht in der Rolle einer dieser Figuren. Am liebsten wäre ich die Taube im dritten Aufzug!

(Joachim Lange, DER STANDARD/Printausgabe, 19./20.07.2008)