Erl/Innsbruck - Irgendwie hat man sich daran gewöhnt, jeden Sommer zu Gustav Kuhn nach Erl zu pilgern. Alle sechs Jahre jedoch gibt es im Passionsspielhaus statt Wagner aber genau das zu erleben, wofür der Bau einst errichtet wurde: das Leben, Leiden und Sterben Christi. Ein bisschen Kuhn durchweht allerdings auch die Erler Passion 2008, die Kostüme stammen von Lenka Radecky, die auch den Ring ausgestattet hat.

Statt wie bei Wagner auf der Bühne sitzen die Musiker der Passionsspiele allerdings im Graben und geben die wirkungsvolle Musik Wolfram Wagners wieder, er schuf einen Soundtrack zwischen Volksliedton, sanften Mahler-Anklängen und gediegener Moderne. Handwerklich solide erzählen Karl Lubomirski (Text), Rolf Parton (Regie) und Erwin Thrainer (Spielleitung) das Heilsgeschehen, rund 500 Laien wissen um Rolle, Platz und Zeit. Der Tradition gemäß beschließt die Handlung anstelle des Schlussapplauses das gemeinschaftlich gesungene Gotteslob. Eindrucksvoll ist eine vorangestellte Meditation über die Geburt der Zeit in Gott und den (Ab)Glanz von Sein und Ewigkeit im Licht. Einige Kinder spielen dazu mit einem Erdball.

Auch die Tiroler Festspiele widmeten sich heuer vorwiegend spirituellen Dingen. In den Exilorten Innsbruck, Tannheim und Lienz boten Kuhn und seine Accademia di Montegral etwa Beethovens Missa Solemnis und Verdis Requiem. Letzteres erklang im Innsbrucker Congresshaus äußerst exquisit, mit stimmigem Solisten-ensemble (Renée Morloc und Zvetan Michailov) nebst hervorragendem Chor. Auch bespielte Christoph Cech die Innsbrucker Hofkirche mit einer "Missa".

Das Werk durchmisst kunstvoll eine Vielzahl musikalischer wie thematischer Sphären. Orientiert an der katholischen Liturgie, setzt sich Cech ebenso mit Gregorianik wie der isorhythmischen Motette auseinander, auch elektronische Töne von erfreulicher Frische und Komplexität finden sich. Gewaltig dröhnende Blöcke gehen über in eine Ästhetik&Akustik des Fragens oder Ironisierens, ein Synthesizer-Orgel-Generalbass liefert dazu immer wieder tief wummernde Klagen.

Während Cech dirgierte, saß an der Orgel Wolfgang Mitterer, dessen Oper Das tapfere Schneiderlein (Gastspiel der Taschenoper) auch gezeigt wurde. Mitterer versteht es mit Live-Elektronik, Musique concrète und zauberhaften Klanglichtern Wirkung zu erzielen. Es rumpelt, rauscht, knallt und zwitschert, und die bekannte Story wird auch durch die Inszenierung Jevgenij Sitochins zu einem Knaller.

Die Tiroler Festspiele kehren ins Passionsspielhaus 2009 zurück, Kuhn inszeniert die Meistersinger. Sollten ihm Ideen fehlen - zumindest die Festwiesenszene ist bereits fertig, zu sehen noch bis Oktober bei den Passionsspielen in Erl! (Jörn Florian Fuchs, DER STANDARD/Printausgabe, 19./20.07.2008)