Kunden des Sozialmarktes dürfen nur dann Waren einkaufen, wenn sie ihren Sozialmarkt-Ausweis herzeigen. Um die Mittagszeit ist der große Andrang schon vorbei, dennoch ist das Angebot rar.

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Der Bedarf übersteigt das Angebot. Das tägliche Geschäft ist alles andere als leicht.

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Wien - Große Aufregung in der Braunspergengasse in Wien-Favoriten. Gerade ist eine Lieferung in den dort angesiedelten Sozialmarkt eingetroffen. Nudeln seien in den Kartons, die verkaufe er aber erst morgen, sagt der Geschäftsleiter Alexander Schiel. Ein älterer Mann, der seinen Einkauf unter einem Mopedsitz verstaut, ist enttäuscht: "Schade, die hätte ich heute schon gut brauchen können."

Ein Drittel des Ladenpreises

Seit Mai hat Wiens erster Sozialmarkt geöffnet. Er verkauft von Industrie und Handel gespendete Waren zu einem Drittel des üblichen Ladenpreises. 4500 sozial bedürftige Menschen haben sich angemeldet, jede Woche kommen bis zu 300 dazu. Für einen Sozialmarkt-Ausweis braucht es einen Lohnzettel, Lichtbildausweis und Meldezettel. Das Einkommen darf bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr als 800 Euro netto betragen.
Das Sortiment wechselt täglich. Denn Schiel ist von Sponsoren abhängig. So stellt etwa Ankerbrot jeden Tag 280 Stück frisches Gebäck zur Verfügung. Unter den Lieferanten sind auch Coca-Cola, Wiesbauer, Recheis, Darbo, Felix oder Manner. Viele Waren stammen aus der Überproduktion. Wurst, Öl, Margarine gibt es nur ganz selten und sind entsprechend begehrt.

Als der 29-jährige Schiel Punkt zehn Uhr die Ladentür öffnet, stürmen 40 Kunden hinein. Die Filiale gleicht einem Geschäft im Sommerschlussverkauf. Das Publikum ist gemischt und reicht von jungen Müttern über Pensionisten bis zu Arbeitslosen. Auch Studenten wühlen in den Regalen, die mit Geschäftsschluss meist leer sind. "Das stimmt mich traurig: Wenn die Leute um 13 oder 14 Uhr kommen und keine Auswahl mehr haben. Da denke ich mir immer, ich bräuchte mehr" , bedauert Schiel.

Die 63-jährige Martha G. hat mit ihrer Mindestpension monatlich nur 719 Euro netto. Obwohl sie als Friseurin, ORF-Statistin, in einer Bäckerei und in einem Transportunternehmen ihr Leben lang hart gearbeitet habe, bleibe fürs Essen nicht viel übrig. Sie sei froh, dass es den Sozialmarkt gibt, sagt sie. Heute habe sie für sieben Euro Shampoo, mehrere Scheiben Brot, Currypaste, Orangensaft, Tee und Pralinen für ihre Enkel gekauft.

Lebensmittel im Kinderwagen

Eine zweite Pensionisten schwärmt vom billigen guten Brot, bei dem sie sich bis zu zwei Euro erspare. Beide stehen neben der Kasse und beobachten misstrauisch andere Kunden. "Es gibt viele, die sich was einstecken" , klagen die Wienerinnen. "Sie verstecken die Lebensmittel in ihren Trolleys und Kinderwägen und fahren damit heimlich an der Kassa vorbei." Schiel kennt das Problem, doch kann er nicht jeden beobachten.

Schiels Mutter ist Mindestpensionistin. Er selbst lernte Sozialmärkte in Kärnten kennen. Daher entschloss er sich, in Wien ein ähnliches Projekt anzugehen. Aber weder er noch seine Mitarbeiter verdienen daran, sagt er. So investierte er eigenes Geld. Öffentliche Unterstützung bekam er nicht. Schiel war früher an der Wiener Börse in der EDV tätig, wurde als Betriebsrat in den Aufsichtsrat gewählt. "Dadurch habe ich mir einen kleinen finanziellen Polster geschaffen." Kurzzeitig war er auch in der Bundesorganisation des BZÖ. "Ich bin froh, dass ich raus bin und Leuten wirklich helfen kann" , betont er. Vor kurzem habe ihm ein Lebensmittelkonzern eine Art Gehalt angeboten. Das werde er auch annehmen.

Scharfen Blickes beobachten die Pensionistinnen Kunden, die im Sekundentakt ein- und ausgehen. Martha G. sieht eine Mutter, wie sie ihren Kinderwagen an einem Stapel mit Säften vorbeifährt. Sie schnappt sich eine Packung, geht ohne zu zahlen an der Kassa vorbei und verlässt das Geschäft. Die Pensionistin folgt ihr, reißt ihr den Saft aus der Hand. "Da bekommen Sie eh schon etwas gratis und stehlen dann auch noch. Das ist furchtbar" , klagt sie. Die junge Frau verlässt schimpfend das Geschäft.

Nicht alle Leute bekommen die erhofften Produkte. Schon um elf Uhr beschwert sich eine 46-jährige Frau, die arbeitslos ist, wie sie sagt: "Ich habe keine brauchbaren Lebensmittel mehr bekommen." Verbittert fügt sie hinzu: "Soll ich jetzt eine Woche lang von Tee leben?"

Frust und Freude

Oft bilden sich lange Einkaufsschlangen. Schiel sitzt hinter der Kasse. "Ungefähr einmal am Tag habe ich einen Ausraster" , gesteht er. Heute hätte sich eine Frau zehn Packungen Schokolade nehmen wollen, obwohl nur eine Packung erlaubt sei. Noch mehr ärgern ihn Leute, die sich lauthals nach Sojaprodukten und Speck erkundigen und fordern, dass eine zweite Kasse aufgesperrt wird. Aber er könne sich das Sortiment ja nicht aussuchen. "Doch es gibt auch die angenehmen Seiten: Wenn die Leute zu mir kommen und sich bedanken. Das baut mich auf, und ich weiß, warum ich das mache." (Florian Hiebl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19./20.7.2008)