Kaum dachte der Bundeskanzler im Interview laut über eine Ausweitung der derzeitigen Kompetenz seines Amtes, beispielsweise über eine Richtlinienbefugnis, nach, kam auch schon der österreichische Reflex: Das hamma noch nie so g'macht, da könnt ein jeder kommen, das wird nicht geh'n. - Mit vom Vorwahlkampf weniger getrübtem Blick sollte man die Sache allerdings eher weniger skeptisch beurteilen:

Die öffentliche Verwaltung, die Steuerung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Prozesse, die Zusammenarbeit regionaler, staatlicher und supranationaler Ebenen sind eine hochkomplexe Sache geworden. Nichts ist mehr gestaltbar ohne Wirkung auf anderes, alles hängt miteinander zusammen, jedes Problem und jede Lösung hat unterschiedlichste Seiten. Wenn da eine Regierung antritt, um für ein Land in diesem Rahmen ein optimales Ergebnis zu bringen, dann muss jedem klar sein, dass das nur mit einheitlicher Planung, gemeinsamer Optimierung und einer umfassenden kohärenten Strategie möglich ist. Mit Managementstrukturen von 1920 - und aus dieser Zeit stammt unser staatliches Organigramm - ist da nichts mehr zu holen.

Kein großer Konzern auf der Welt - und sehen wir doch mal die Firma "Österreich-Gestaltung-und-Verwaltung" in diesem Licht - würde den Weg gehen, ein Dutzend Vorstände jeweils nach deren individuellen Planungen und Präferenzen arbeiten zu lassen, ohne darauf zu achten, dass die Optimierung des einen nicht zu Lasten des anderen geht. Werken alle zwölf nur nach den eigenen Prioritäten so vor sich hin, liegt das Ergebnis für das Gesamtunternehmen mit Sicherheit deutlich unter jenem, das bei Abstimmung aufeinander erreichbar ist. Es braucht also eine koordinative Kraft, jemanden, der im Konfliktfall von Zielen und Maßnahmen entscheidet, wo die Projekte eines einzelnen Vorstands dem gesamten Firmenerfolg nachzureihen sind.

In unserer hochentwickelten Gesellschaft sind auch die Steuerungs- und Änderungsprozesse komplex. Jede Pimperl-Institution bemüht sich heute darum, professionelles "change management" zu betreiben, moderne Managementmethoden in der Führungsetage zu leben. Ist ja alles kein Geheimwissen, und Institutionen - von der mittleren Sparkasse bis zu erfolgreichen NGOs - arbeiten täglich damit. Warum soll das also nichts für eine Regierung und ihren Chef sein.

Ein ganz simpler Ansatz ist es wohl, nicht alle Schritte gleichzeitig zu tun, sondern indem man Möglichkeiten und Folgen abschätzt und danach priorisiert. Es mag richtig sein, Mini-Polizeiposten zu schließen, ebenso mag es geboten sein, Gerichte mit einem Drittelrichter zuzumachen, und es mag logisch sein, Postämter zu verlegen, die nur mehr ein Viertel ihrer Kosten hereinbringen. Aber wenn mangels Koordination in Unterhausen gleichzeitig vom Innenminister die Wachstube, vom Justizminister das Gericht und vom Infrastrukturminister die Post geschlossen wird, hat die ganze Regierung in Unterhausen ein nicht mehr lösbares Problem. Da wäre es schon gut, wenn einer den Gesamtüberblick hat, alle Infos kriegen muss, und eine Entscheidung im Gesamtinteresse treffen kann.

Ein anderer Ansatz ist, zu erkennen, dass nicht alles vom Minister/Vorstandsdirektor selber gemacht werden muss: Es gibt nämlich drumherum einen sehr großen, sehr professionellen, leistungskräftigen Apparat, der seinen Job gelernt hat und kann. Die sogenannten Beamten nämlich - die im Übrigen dafür sorgen, dass sogar in langen Zeiten provisorischer Regierung oder von Regierungsverhandlungen das Licht brennt, Steuern fließen, Kinder nicht deppert verwahrlosen, Kranke gesund werden und man die Verbrecher einsperrt. Das Potenzial dieser professionellen Teams lässt sich trefflich nutzen, wenn man eine Firma erfolgreich führen will: Wer nur mit seinem Vorstandssekretariat arbeitet, hat vielleicht sieben gute Leute; wer mit der ganzen Firma arbeitet, hat 700 Leute, und die meisten davon sind gut.

In anderen Ländern weiß man das schon längst und re(a)giert mit professionellen Methoden: Man bereitet die einzelnen Projekte der Ressorts und der Regierung längerfristig vor, informiert den Premier und das Kollegium im Vorhinein und verfügt auf Beamtenebene über einen Prozess der unaufgeregten Kompromissfindung und Beseitigung gegenseitiger Blockaden.

Allerdings setzt eine solche Steuerung von Veränderungsprozessen, dieses Management politischer Risken schon eine, und nur eine, Stelle voraus, an der das alles wirklich professionell gemacht wird. Eine Stelle, die steuert, nicht rudert. Eine Regierungskoordination, die nicht von der Tageslaune vollautonomer Minister abhängt, sich heute vielleicht mal koordinieren zu lassen.

Diese Stelle wird in der Tat so etwas brauchen wie eine Richtlinienkompetenz, eine Entscheidungsmacht bei internen Konflikten, ein "pouvoir", das Regierungsziel über Partikularinteressen zu stellen; und einen Apparat, der die Methoden der Konsensfindung, des Risiko- und Konfliktmanagements, der Steuerungstechnik gut anwenden kann.

Zivilisierte, hochentwickelte Staaten und Verwaltungen haben das - keine Angst also, dass man da gleich in Despotismus und Diktatur abglitte. Das britische Cabinet Office mit seinen exzellenten Analysekapazitäten ist ein professioneller Apparat, der die klare Zuständigkeit des Premiers zur Gesamtsteuerung stützt; das deutsche Kanzleramt mit seinen Spiegelabteilungen für jedes Ressort stärkt die grundgesetzliche Richtlinienbefugnis des Kanzlers. Verfassungen, die den Premier als Präsidenten des Ministerrates sehen, haben in dieser Funktion tragfähige Systeme der Koordinierung und Beschlussvorbereitung entwickelt. Die nordischen Staaten setzen primär auf die Entwicklung strategischer Konzepte im Nahebereich des Premiers und auf die Einbeziehung der Linienminister in deren Umsetzung. In der Schweiz hat man etwas besonders Eindrucksvolles: Die Bundeskanzlei - Parlamentsdirektion, Verfassungsdienst, Ministerratsdienst, Präsidentschaftskanzlei in einem- stellt die gesamte koordinative Kraft dem jährlich wechselnden "Premier" zur Verfügung. Und in der OECD gibt es Bibliotheken darüber, was ein modernes Centre of Government braucht, damit der Staat gut funktioniert.

Bei uns hingegen scheinen noch allzu viele einem recht alt aussehenden Regierungs- und Verwaltungsmodell nachzuhängen, das international nicht mehr konkurrenzfähig und auf dem Wählermarkt nicht mehr attraktiv ist.

Das nüchtern gezeichnete Bild vom Bundes-Regieren in Österreich zeigt, dass es so kaum gehen kann: Zwei voneinander völlig unabhängige Entscheidungszentren treffen zentrale Führungsentscheidungen. Zwölf völlig voneinander unabhängige sektorale Zentren treffen - unter vager Orientierung an den selbst interpretierten Rahmenvorgaben - die für das tägliche Leben relevanten Führungsentscheidungen. Im Konfliktfall zwischen zweien oder mehreren von ihnen hat niemand das Sagen. Werbung und Planung einer Abteilung gegen das Produkt der anderen Abteilung der eigenen Firma zieht keinerlei Konsequenz nach sich. Und alle Augenblicke macht der gesamte Vorstand die professionellen Werkmeister, Ingenieure und Abteilungsleiter der eigenen Firma als bloße Kostenbelastungen des Unternehmens schlecht.

Ich wage die Prognose, dass es ein solches Unternehmen nicht lange auf dem Markt geben würde; auch wenn es ein Dienstleistungskonzern ist; und auch wenn es politische und soziale Dienstleistungen erbringt.

Man wird den Zustand wohl ändern müssen, sonst wird der Markt die Änderung erzwingen. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.7.2008)