Wien - Sie sind die Pendler-Fraktion in der Politik. Oder moderne Nomaden im Dienste der Europäischen Union: Österreichs EU-Abgeordnete (Monatsgehalt 8160 Euro) haben nämlich mehrere "Arbeitsplätze".

Mal ist es Straßburg, der offizielle Sitz des Europäischen Parlaments, dann wieder Brüssel, wo die Austragungsstätten für Ausschuss- und Fraktionssitzungen und kleine Plenardebatten gelegen sind - und eigentlich sollten sie die Segnungen der EU auch in ihrem lokalen Umfeld daheim transportieren.

Tun sie aber nicht genug, kritisierte der frühere Vizekanzler und ÖVP-Chef Erhard Busek im Standard-Gespräch angesichts der grassierenden EU-Skepsis in Österreich. "Wo sind die EU-Abgeordneten in dem Zusammenhang? Verbringen die genug Zeit im Land?" Nein, meint Busek: Drei Wochen in Brüssel/Straßburg, eine daheim ist "falsch. Die gehören zwei Wochen nach Hause."

Nun, am kommenden Montag sollten sie da laut offiziellem Sitzungskalender auch sein. Dann beginnt nämlich eine sogenannte "grüne Woche". Mit dieser Farbe sind auf dem Plan der Abgeordneten "externe parlamentarische Aktivitäten" angezeigt. Am Donnerstag war zum Beispiel Ausschusstag (rosa), vergangene Woche gab es drei "rote" Tage - Plenum war angesagt, und davor galt es zweieinhalb blaue Ausschusstage zu absolvieren. Und wie halten es Österreichs professionelle Europäer nun mit der Überzeugungsarbeit daheim? der Standard fragte bei fünf von ihnen nach. (nim/DER STANDARD, Printausgabe, 18.7.2008)

Hannes Swoboda, SPÖ

"Mit ganz wenigen Ausnahmen" verbringt Hannes Swoboda jede Woche zwei oder drei Tage in Österreich. "Veranstaltungen an Schulen, Diskussionen, Gespräche mit Bürgern und Lobbygruppen" - das gehört zum politischen Alltag des Wieners, wenn er in der Heimat ist. Dass die EU-Abgeordneten zu wenig informieren würden, glaubt der stellvertretende Vorsitzende der SPE-Fraktion im EU-Parlament nicht. "Aber es genügt nicht, wenn nur wir das machen."

Das Zusammenwirken sei entscheidend - und "nicht dass jeder vor sich dahindümpelt". Swoboda vermisst eine österreichische Kommunikationsstrategie für die Europapolitik. Die müssten die "Hauptverantwortlichen" - also Bundeskanzler und Außenministerin - initiieren. Dabei gehe aber es nicht darum, "dass jeder dasselbe sagt".

Eine Volksabstimmung über einen EU-Austritt, wie sie Ex-VP-Vizekanzler Erhard Busek vorgeschlagen hatte, hält Swoboda nicht für zielführend: "Die Leute sollen nicht für oder gegen die EU entscheiden - sie sollen entscheiden, welche EU sie wollen." Eine Kampagne mit dem Inhalt "Die EU ist gut!" würde nichts bringen, denn: "Die EU ist ja da - man muss darüber streiten, welche Politik man machen soll." (hei)

Agnes Schierhuber, ÖVP

Die EU lässt Agnes Schierhuber nicht los - nicht einmal, wenn sie Wochenendeinkäufe erledigt oder nach der Sonntagsmesse im heimatlichen Waldviertel am Kirchenplatz steht. Denn dann wollen die Leute von ihr wissen, was "in Brüssel" so los sei.

"Ich bin 30-mal im Jahr zwischen zwei und vier Tage in Brüssel und zwölfmal im Jahr vier Tage in Straßburg", berichtet die langjährige Bergbäuerin und zweifache Mutter aus ihrem politischen Alltag. In Österreich "fordere ich EU-kritische Menschen gern heraus und kontere dann mit Fakten". Und die ÖVP-Mandatarin gibt zu bedenken: "Politik zum Wohle Österreichs und Europas braucht nun einmal Kompromisse."

Genau das würden nationale Politiker aber gar nicht gern hören, glaubt Schierhuber: "Ich würde mir wünschen, dass man zugibt, wenn man etwas national nicht lösen kann - und dass man dann nicht sagt: Die EU hat Schuld. Das Spiel habe ich selber oft genug durchgemacht in meiner Karriere." Dabei sollten Nationalrats-, Landtags- und Gemeinderatsabgeordnete "Multiplikatoren" für die EU-Politik sein, findet sich Schierhuber. Denn: "Die österreichische Innenpolitik ist nicht von der EU-Politik zu trennen." (hei)

Johannes Voggenhuber, Grüne

 

"Der Zeitaufwand ist gewaltig und mit der Arbeit im Nationalrat nicht vergleichbar": Seit fast vierzehn Jahren ist Johannes Voggenhuber Abgeordneter im EU-Parlament, in zwei Konventen und einem halben Dutzend Ausschüssen hat der Grüne gearbeitet. Die Aufforderung von Erhard Busek, dass sich die EU-Mandatare öfter zu Hause blicken lassen sollen "unterschreibt" Voggenhuber "sofort" - auch wenn er sich durch die mahnenden Worte nicht angesprochen fühlt. Die Säle bei "Streitgesprächen", an denen der Grüne teilnimmt, seien "brechend voll", wie unlängst an der Uni Salzburg oder bei einer Veranstaltung der globalisierungskritischen NGO Attac. Die größte Sorge der Zuhörer: Dass die Union zur "abgehobenen Herrschaft der Eliten und Konzerne" verkomme.

Weder auf die Sozialfrage, die Friedensfrage oder den Vertrag von Lissabon gäbe die Regierung befriedigende Antworten. Stattdessen werden "hübsche Kalendersprücherl" geklopft. Und auch das sei "die Nestroy'sche Posse an der Innenpolitik": Statt die EU-Mandatare zu Wort kommen zu lassen, pflegen die Parteien ihre eigenen Europasprecher in Wien, die oft ganz andere Dinge über die Union predigen als ihre Kollegen in Straßburg und Brüssel. (nw)

Andreas Mölzer, FPÖ

 

"Über die Kritik vom Busek habe ich nur gelacht", meint Andreas Mölzer gelassen. Der einzige EU-Parlamentarier der FPÖ hat heuer schon rund 200 Flüge absolviert, schätzt er. "Zwei, drei, vier Tage" pro Woche ist er in Brüssel oder Straßburg. In Wien arbeitet der Vater von fünf Kindern als Herausgeber der rechtskonservativen Wochenzeitung Zur Zeit.

Darüber hinaus, sagt Mölzer, sei er ständig in Kontakt mit "der Bevölkerung und der eigenen Partei". Als FPÖ-Alleingänger komme ihm eine gewisse Sonderstellung zu: "Mein Wahlkreis ist Österreich, da zerreißt man sich natürlich." Innerparteilich sei er aber gut verankert: "Ich bin in allen Gremien und habe einen gewissen Einfluss. Der Herr Karas (EU-Abgeordneter der ÖVP, Anm.) ist ja ein Niemand in seiner Partei."

Die EU-Verdrossenheit, meint der 55-jährige Kärntner, sei "eine Folge davon, dass wir kritischen EU-Abgeordneten die Leute über Missstände informieren. Die Jubelperser von den etablierten Parteien funktionieren nicht richtig." Dabei sei er der Letzte, der "alles miesmachen möchte", betont Mölzer. Man müsse die EU kritisieren und reformieren - "dann kann man wieder ein positives Bewusstsein aufbauen". (hei)

Karin Resetarits, Liberale

An die 3000 Kilometer pro Woche sitzt Karin Resetarits in irgendwelchen Fliegern zwischen Wien und Brüssel. "Mein ökologischer Fußabdruck muss eine Katastrophe sein", vermutet die liberale EU-Abgeordnete. Aber sie macht es ja nicht aus Jux und Tollerei.

 

Und dann erschallt aus Österreich der Wunsch, die heimischen Vorzeige-Europäer sollten monatlich zwei Österreich-Wochen abdienen? "Ich wüsste nicht, wo ich diese zwei Wochen hernehmen sollte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir unsere Arbeit auf zwei Wochen beschränken", sagt die 45-Jährige, die neben ihrem Job noch vier Söhne organisieren muss: "Irgendwer muss ja die Knochenarbeit machen." Zum Beispiel die vielen "Schattenberichte" für diverse Ausschüsse formulieren: "Wenn man das ernst nimmt, ist man laufend beschäftigt."

Sie selbst ist als personifizierter EU-Kurier immer Freitag, Samstag und Sonntag in Österreich aktiv. Die Ex-ORF-Moderatorin hat einen neuen Weg der EU-Kommunikation beschritten. Ihr "Europäisches Quartett" hebt wöchentlich den Vorhang auf TW1: "Damit erreichen wir 20.000 bis 30.000 Zuschauer. Zu Diskussionen kommen 15 bis 20 Leute. Das funktioniert einfach nicht. (nim)