Hans Rauscher hat sich über die Gründe für die "Angefressenheit" vieler Wähler den Kopf zerbrochen (Standard vom 12./13. 7.). Er ortet sie bei ihrer Zukunfts- und Abstiegsangst.

Der Befund trifft zu, greift aber zu kurz: Er lässt jene außer Betracht, die jenseits von Zukunfts- und Abstiegsangst deswegen "angefressen" sind, weil sie über die Arbeit von Gusenbauer und Molterer (samt Gefolgsleuten) in den vergangenen eineinhalb Jahren empört sind und sie mit "Nicht genügend" bewerten - "Es reicht" eben nicht! Sie fordern endlich sicht- und zählbare Konsequenzen für eine derartige Nicht-Leistung.

Zufall oder nicht: Unter Rauschers Kommentar findet sich ein Leserbrief von Peter Schmitt, der dem Unmut der Apostrophierten politisch Ausdruck verleihen will: Es soll eine "Weiße Liste" eingeführt werden, durch deren Ankreuzen (also nicht nur durch eine Stimmenthaltung oder die Abgabe einer ungültigen Stimme) man gegen alle kandidierenden Parteien votiert. Die auf diese Liste entfallenden Mandate sollen in gleicher Weise ermittelt werden wie Parteimandate; ihre Sitze im Parlament blieben jedoch unbesetzt.

Der Vorschlag ist nur auf den ersten Blick surreal - er verdient durchaus eine ernsthafte Überlegung. Solange nämlich die Parteien aus einer sinkenden Wahlbeteiligung oder einer steigenden Anzahl ungültiger Stimmen keine realen Konsequenzen befürchten müssen, ist ihnen die "Angefressenheit" vieler Wähler herzlich wurscht. Erst wenn es ans Eingemachte (Mandate und Geld!) geht, werden sie aktiv.

Und die Folgen? Die auf die "Weißen Mandate" entfallenden Abgeordnetenbezüge und sonstigen Parteiengelder könnten auf einem "Weißen Konto" gesammelt und nach dem Vorschlag und unter der Kontrolle einiger Weisen verwendet werden. Vielleicht schlägt jemand vor, Künstler nach öffentlicher Ausschreibung einzuladen, den "Weißen Mandataren" im Plenarsaal ein Gesicht oder eine Gestalt zu verleihen. Ein Teil des Geldes könnte auch für Vorschläge zur Förderung der politischen Kultur und Partizipation verwendet werden etc.

Im Nationalrat könnten sich neue Konstellationen ergeben, weil die "Weißen Mandate" neue Mehrheiten ermöglichen würden.

Die Parteien würden sich mächtig anstrengen, mit ihrer Politik möglichst wenig "angefressene" Wähler zu produzieren, weil sie ihnen Mandate und Geld kosten.

Die Umsetzung des Vorschlages kostet den Staat übrigens keinen einzigen Euro mehr, weil die Gelder auf dem "Weißen Konto" ohnehin fließen würden - nach der bisherigen Regelung halt in parteiliche Taschen.

Wer soll diesen Vorschlag realisieren? Vielleicht der Druck der öffentlichen Meinung. Immerhin haben es unabhängige Medien schon einmal geschafft, die Strippen zwischen Politik und ORF - zumindest eine Zeit lang - zu kappen. Auch Mittel der direkten Demokratie könnten der Sache dienlich sein. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.7.2008)