Zur Person

Bernhard Hadolt (l.) (40) ist Sozialanthropologe mit Spezialisierung in Medizinanthropologie. Er arbeitet am Institut für Höhere Studien (IHS) und am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Uni Wien. Im Rahmen des bmvit-Projekts "gen-dialog" untersuchte er die Beratungssituation bei präsymptomatischen Gentests in Österreich und Japan. (tasch)

Peter Kroisel (r.) (51) ist habilitierter Facharzt für medizinische Genetik und hat viele tausend genetische Beratungen durchgeführt. Er ist einer der Referenten für Öffentlichkeitsarbeit der Österreichischen Gesellschaft für Humangenetik (ÖGH) und Mitglied der Kommission für Facharztprüfungen der Österreichischen Ärztekammer für das spezifische Sonderfach.

Foto: Standard/Regine Hendrich

Lassen sich Krankheitsrisikos in der DNA ablesen? Bedingt, sagen der Genetiker Peter Kroisel und der Sozialanthropologe Bernhard Hadolt, denn es gehe vor allem um die Interpretation von Wahrscheinlichkeiten. Das Gespräch über Gentests führte Klaus Taschwer.

STANDARD: Warum wollen Leute einen Gentest machen lassen?

Kroisel: Dafür gibt es viele Gründe. Das können Krankheiten in der Familie sein, bei denen eine erbliche Komponente beteiligt ist. Das können aber auch Auffälligkeiten im Zusammenhang mit Schwangerschaften sein oder ein unerfüllter Kinderwunsch. Es gibt es eine lange Liste an Gründen, zumal es ja auch mehr als 10.000 Krankheitsbilder gibt, die auf der Veränderung von nur einem Gen oder einer genetischen Komponente beruhen.

STANDARD: Kann jeder, der will, einen Test machen?

Kroisel: Nein. Jedem genetischen Test vor Krankheitsmanifestation muss eine Beratung vorangehen. Und nicht jede Beratung führt automatisch zu einem Gentest. Man kann sich als Ratsuchender auch bewusst dagegen aussprechen.

STANDARD: Warum ist Beratung so wichtig?

Hadolt: Weil zwar einerseits mit ziemlicher Sicherheit diagnostiziert werden kann, dass man eine Veranlagung für eine Erkrankung hat, andererseits das tatsächliche Auftreten der meisten Erberkrankungen im Laufe des Lebens aber nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden kann. Für die Betroffenen ist es oft schwierig, mit dieser Diskrepanz umzugehen, besonders wenn es keine Therapiemöglichkeiten gibt. Dazu kommt, dass die Ergebnisse eines Gentests dann meist nicht nur die getestete Person betreffen, sondern auch Verwandte. Es ist eine Information, die buchstäblich für das ganze Leben gilt.

Kroisel: Deshalb haben wir auch extrem hohe Hürden vor den Tests: Bei Chorea Huntington, einer erblichen Hirnerkrankung, die heute unheilbar ist, gibt es vor dem Test im Normalfall zwei Beratungsgespräche. Und auch wenn die Tests vorliegen, gibt es noch einmal hohe Auflagen. Auch dann hat der Patient noch die Möglichkeit zu sagen, dass er die Ergebnisse nicht wissen will.

Standard: Was sind bei Beratungen die größten Herausforderungen?

Kroisel: Die praktischen Herausforderungen sind extrem heterogen. Das hängt nicht nur von den Fragestellungen und Krankheiten ab, sondern auch von den Ausgangslagen der Ratsuchenden: Wenn das Biologielehrer sind oder Universitätsprofessoren, dann kann man andere Dinge voraussetzen als bei Menschen mit Migrationshintergrund, die kaum Sprachkenntnisse haben und auf einen Dolmetsch angewiesen sind.

Hadolt: Bei unserer Untersuchung solcher Beratungsgespräche hat sich auch gezeigt, dass viele Leute schon mit der vorgefassten Entscheidung kommen. Die Berater stehen dann natürlich vor der Frage, ob und wie sehr man das problematisieren soll. Kroisel: Um das kommt man nicht herum. Es herrschen ja auch oft falsche Vorstellungen davon, was bei einem Test herauskommen kann. Viele Leute denken, wenn sie das getestet haben, wissen sie und ihre Angehörigen mit Sicherheit Bescheid. Da bedarf es oft langer aufklärender Gespräche, vor allem der Aspekt der Wahrscheinlichkeit ist schwer zu vermitteln.

STANDARD: Sind solche Tests und die Beratung gesetzlich geregelt?

Hadolt: Ja. Österreich ist eines der wenigen Länder, in denen das so ist. Die Regelung gibt es schon sehr lange und ist seit 1994 Teil des Gentechnikgesetzes. Das legt unter anderem fest, dass nur Fachärzte Gentests veranlassen dürfen und auch Beratungen nur von Fachärzten gemacht werden dürfen. Das können Fachärzte für medizinische Genetik sein oder andere Fachärzte - dann aber mit der Einschränkung, dass die Erkrankung in ihren Fachbereich fällt. Das hat zu zwei Schienen der genetischen Beratung geführt.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Hadolt: Zum einen gibt es allgemeine humangenetische Beratungsstellen, die sich mit dem ganzen Spektrum von Erberkrankungen befassen. Zum anderen dürfen aber eben auch verschiedene Fachärzte, die auf ganz spezifische Erkrankungen spezialisiert sind, zusätzlich klinische Genetik anbieten. Diese Ärzte bieten bei Krankheiten wie familiärem Brustkrebs oder Darmkrebs ganze Betreuungsprogramme mit an, Beratung ist nur der erste Schritt.

STANDARD: Ist diese Zweiteilung ein Vor- oder ein Nachteil?

Kroisel: Die Österreichsche Gesellschaft für Humangenetik und auch die Ärztekammer unterstützen es im Prinzip, dass zusätzlich zu den Humangenetikern auch bestimmte Fachärzte solche Betreuungsaufgaben wahrnehmen. Es ist aber auch wichtig zu betonen, dass viele genetische Fragestellungen nicht monokausal sind. Und deshalb ist unter Umständen wieder die volle humangenetische Beratung notwendig. Auch Fachärzte sollten deshalb immer auch den Humangenetiker zurate ziehen.

STANDARD: Wohin wendet man sich in Österreich für so einen Test?

Kroisel: Sicher gut beraten wird man bei den humangenetischen Facheinrichtungen in Österreich. Dazu zählen die drei Universitätsinstitute für medizinische Genetik in Wien, Graz und Innsbruck und zwei Einrichtungen am LKH in Linz und in Salzburg an der Paracelsus Med-Uni. Die arbeiten mit Fachärzten zusammen.

STANDARD: Wie sieht es mit der Datensicherheit aus?

Kroisel: Wir haben sehr hohe Standards, die durch das Gentechnikgesetz sichergestellt werden: Es gibt strenge Auflagen, wo und wie lange heikle Daten aufbewahrt werden. Es ist aber auch so, dass das diesbezügliche Wissen gerade von den Fachärzten, die keine Humangenetiker sind, aber auch genetische Tests anbieten, zum Teil noch zu verbessern ist.

Hadolt: Eine fast noch größere Schwierigkeit sehe ich auf Patientenseite. Bei unseren Untersuchungen hat sich gezeigt, dass das Problembewusstsein bei Personen, die Gentests in Anspruch nehmen und auch ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung haben, eher gering ist. Da werden leichtfertig Informationen weitergegeben, was weitreichende Folgen auch für Verwandte haben kann.

Standard: Was halten Sie von kommerziellen Gentests?

Kroisel: Ich sehe gleich mehrere Probleme. Viele dieser Tests beruhen auf der Untersuchung von Polymorphismen, also geringen Abweichungen bei den Grundbausteinen der DNA. Bei diesen Tests mit Genchips werden oft nur vage Assoziationen bestimmt, und vielfach wird da nicht gehalten, was versprochen wird - zum Beispiel im Bereich des sogenannten Anti-Aging. Häufig fehlen umfassende Grundlagen- und Langzeitstudien, die nicht kommerziell getrieben sind, um mehr über die faktischen Zusammenhänge zu wissen. Es fehlt bei diesen Tests das fachärztliche Beratungsgespräch, vor allem bei den Angeboten aus dem Internet. Wir warnen vor Missbrauch und Fehlinterpretationen.

STANDARD: Der Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger, hat vor kurzem den Anbietern solcher Gentests über das Internet - etwa Decode oder 23andme - mit Strafen gedroht, wenn sie solche Tests an kalifornischen Bürgern durchführen. Ist das angebracht?

Kroisel: Schwarzenegger greift das Problem zu Recht auf. Er vertritt das Interesse der Bevölkerung. Denn die Leute, die sich auf diese Weise testen lassen, können mit den Ergebnissen nicht viel anfangen. Einerseits sind diese Tests oft unseriös, und es fehlt die Beratung.

Standard: Besteht in Österreich Handlungsbedarf?

Hadolt: Ich denke, dass in dem Bereich nationale Regelungen möglicherweise kein ausreichendes Instrument sind. Es ist ein globales Problem. Denn wo ich meine Speichelprobe hinschicke und von wem ich einen Befund erhalte, lässt sich aus Sicht des österreichischen Gesetzgebers schwer nachvollziehen. Kroisel: Die EU hat aber durchaus die Möglichkeit. Jedenfalls sollten kommerzielle Labors, die Gentests in Österreich anbieten, ähnlich strengen Auflagen genügen wie die Labors der humangenetischen Facheinrichtungen. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.7.2008)