Walleczek: Essen, ohne sich zu denken "Mensch - heut schlag ich aber über die Stränge"...

Foto: Thomas M. Laimgruber

...lieber einen "Eisbecher genießen mit viel Schlagsahne und Schokoladensauce obendrauf"

Foto: Thomas M. Laimgruber

Sasha Walleczek wurde als Ernährungsexpertin in der ATV-Sendung "Du bist was du isst" bekannt. Mittlerweile geht die Sendung in die siebte Staffel und Walleczeks Kochbücher sind Bestseller. Immer wieder aber betont Walleczek, die in London ihre Ausbildung zur Ernährungstherapeutin machte, dass es in ihrer Arbeit nicht primär ums Abnehmen geht.
Beate Hausbichler sprach mit Sasha Walleczek über die enge Verbindung von Essen und Schlanksein, vermeintlich weibliche Verdauungsstörungen und über extra große Eisbecher für Frauen.

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dieStandard.at: Frau Walleczek, Ernährung und schlanke Linie scheinen untrennbar miteinander verbunden zu sein. Auch ein ganz normales Nahrungsmittel wie etwa Fisch wird mit "Fisch macht immer eine gute Figur" beworben. Essen und schlanke Linie - untrennbare Themen also?

Sasha Walleczek: Ich find es traurig, dass Ernährung nur mit einer schlanken Linie in Verbindung gebracht wird. Immer geht es primär um das Abnehmen. Es gibt ja auch diesen dummen Spruch von Nancy Reagan: "Eine Frau kann niemals zu dünn oder zu reich sein". Ich will niemandem eine Figur vorschreiben. Es gibt eine sehr große Bandbreite von Wohlfühlgewichten, da gibt es sicher eine Spanne von 25 Kilo.

Ich fände es völlig uninteressant Ernährungsberaterin zu sein, um Leuten zu ihrer Bikinifigur zu verhelfen - das wäre für mich eine todlangweilige Aufgabe.
Mir geht es um Themen wie Stimmungsschwankungen, Müdigkeit oder Regelschmerzen. Es gibt viele Frauen, die können praktisch eine ganze Woche im Monat streichen, sie haben Krämpfe, Migräne oder können kaum stehen vor Schmerzen - das müsste nicht sein. In den meisten Fällen geht das mit Ernährungsumstellungen schnell weg.

dieStandard.at: Die Functional-Food Industrie verbindet "Schlank sein" auch mit dem Schlagwort "Verdauungsregulierung" - Zielpublikum sind Frauen. Sind Verdauungsprobleme vorwiegend Frauensache?

Sasha Walleczek: Jein. Ich glaube, dass Frauen sich allgemein ihres Körpers bewusster sind. Schon allein dadurch, dass wir einen Zyklus haben oder Hormonschwankungen.
Für die Beratung in unserem Institut müssen unsere KlientInnen einen Fragebogen ausfüllen, Frauen unterstreichen bei den Symptomen meist einiges. Dass Männer viel unterstreichen ist eher selten. Wenn man allerdings genauer nachfragt, rücken sie aber schon mit Symptomen heraus. Bei den KandidatInnen aus der Sendung hatte ich schon weniger Männer mit Verdauungsproblemen, allerdings glaube ich, dass da Männer mit sich anders, oder auch brutaler, umgehen.

Ich vermute, dass es einfach eine Marketingschiene ist: Jetzt müssen wir nicht nur schön und dünn sein, eine schöne Haut haben, sondern wir müssen auch eine einwandfreie Verdauung haben.
Männer sind für so eine Schiene nicht besonders geeignet, sie gehen oft sehr unbewusst mit ihrem Körper um, bis es Probleme gibt - dann sind sie aber oft konsequenter. Nicht zuletzt deswegen, weil die Auseinandersetzung mit ihrem Körper für viele Männer eine neue Auseinadersetzung ist.

dieStandard.at: Was ist von diesen Sattmachern ("Fasten satt + fit" oder "Optiwell Control") zu halten, die frau mal schnell runter stürzen kann, wenn der Magen knurrt?

Sasha Walleczek: Ich bin völlig gegen Diätprodukte. Es ist traurig, sein Leben nach Kalorien auszurichten, oder dem Körper ständig Dinge vorzuenthalten. Der Körper ist viel intelligenter als die meisten denken. Meist funktioniert er ja sehr gut, während sie hier sitzen wachsen ihre Nägel, gleichzeitig haben sie genug Flüssigkeit in den Augen um Blinzeln zu können, es wird also alles ganz gut organisiert. Beim Hungergefühl wird dem Körper dann plötzlich nicht mehr getraut.

Ursprünglich hat man geglaubt, dass es Sättigungsmechanismen gibt, zum Beispiel, dass sich der obere Magen ausdehnt und dann Sättigung eintritt. Man weiß zwar noch nicht ganz, was dahinter steckt, aber so mechanistisch ist das Ganze nicht. Ich finde, es spricht einiges dafür zu behaupten, dass der Körper sehr wohl weiß, was er braucht, dass er am Geschmack beurteilen kann, was für Nährstoffe er braucht und uns sagen kann, wann es reicht.

Wenn sie ein Produkt konsumieren, das nur nach Fett schmeckt und stattdessen irgendwelche Sattmacher drinnen sind, dann meldet der Körper: mehr von dem Zeug! Es fehlen die Nährstoffe und deshalb tritt kein Sättigungsgefühl mehr ein.
Das ist noch unwissenschaftlich, aber nach meiner Erfahrung verhält es sich so: Wenn man von dem verfälschten Zeug auf richtiges Essen umstellt, stellt sich auch wieder ein Sättigungsgefühl und ein besseres Gefühl für den Körper ein.

Mir tut das immer weh, wenn ich sehe, dass manche Menschen ständig im Kampf mit ihrem Körper sind, ihren Körper hassen, das Essen nicht genießen, keine Feste feiern. Es ist ein ständiges Schuldgefühl da, das ist bei Frauen ganz extrem. Ohne Schuldgefühl kann gar nichts mehr gegessen werden. Es hat sich durchgesetzt: Am besten ist, wenn ich gar nichts esse.

dieStandard.at: Stört es Sie, dass direkt vor Ihrer Sendung so ein Sattmacher präsentiert wird?

Sasha Walleczek: Auf die Werbung rund um die Sendung haben wir keinen Einfluss. Die Produkte, die in der Sendung vorkommen werden mit mir abgesprochen.
Wenn es statt Käse ein Magerkäse ist, also wenn nur die gesättigten Fettsäuren raus genommen wurden, ist es nicht verfälscht. Der Körper schmeckt weniger Fett und er kann damit umgehen. Aber verfälschte Produkte, wo beispielsweise Süßstoffe drinnen sind, kommen in der Sendung nicht vor.

dieStandard.at: Wo sehen Sie noch konkrete Probleme im Umgang mit Essen?

Sasha Walleczek: Leider gibt es für viele keine Rituale mehr, wie der gemeinsame Sonntagsbraten. In vielen Haushalten gibt es keinen Esstisch mehr. Die Ernährung lernen nur mehr die wenigsten von den Eltern. Heute ändert sich die Ernährung bis zu zweimal in einer Generation. Keiner isst mehr das, was vom Vater oder von der Mutter gegessen wurde, da geht sehr viel Ernährungswissen verloren.

dieStandard.at: Rituale a la Sonntagsbraten - das ist ein sehr traditionalistisches Bild!

Sasha Walleczek: Ich glaub grundsätzlich, dass wir kulturelle und gesellschaftliche Rituale brauchen - ich glaube auch, dass wir uns in einem familiären Kontext wohler fühlen, das heißt aber nicht gleich Vater-Mutter-Kind. Das kann auch eine komplett andere Struktur sein.
Sicher muss einiges neu definiert werden, das ist auch ein anderer Problemkreis, nämlich wie man sich gesellschaftlich neu orientiert.

In meiner Kindheit sind wir zweimal im Jahr von Kitzbühl nach München zu einem Kleidereinkauf für die Schule gefahren und dabei jedes Mal zu McDonalds. Das haben wir extrem genossen, mit Cola, mit Big Mac, mit allem drum und dran.
Gerade Frauen sollten nicht immer Schuldgefühle haben beim Essen, sondern einen Eisbecher genießen mit viel Schlagsahne und Schokoladensauce obendrauf, ohne sich zu denken: "Mensch - heut schlag ich aber über die Stränge". Wenn man so was hin und wieder hat, dann geht man - glaube ich - bewusster mit der Qualität von Nahrung um. Da geht dann die gesunde Ernähung fast in einem Aufwasch mit, denn wenn man einen Eisbecher feiert und zelebriert, glaub ich nicht, dass man dann noch Packerlsuppen mag.

dieStandard.at: Geht es um Essstörungen, sind vor allem Frauen im Blickfeld. Wird in Bezug auf Ernähung rasch pathologisiert? Wird der weibliche Körper da schnell zu einem mangelhaften, kranken Körper gemacht?

Sasha Walleczek: Das ist eine gute Frage. Es gibt viele verschiedene Essstörungen, einige davon bleiben oft unerkannt, wie etwa Binge Eating - das ich selbst übrigens hatte. Das ist fast wie Bulimie, man bekommt Fressanfälle und teilweise werden dann 10.000 Kalorien gegessen und man kann nicht aufhören, man erbricht aber nicht.
Aber ich glaub schon, dass vieles schnell als Krankheit abgehandelt wird, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass es dann auch behandelbar ist und man zu ÄrztInnen gehen kann. Einerseits denke ich schon, dass es mehr Essstörungen gibt, andererseits wird sicher recht schnell etwas zur Krankheit gestempelt.

Frauen stehen bezüglich ihrem Aussehen unverhältnismäßig mehr unter Druck als Männer. Wenn Frauen extrem dünn sein sollen, führt das natürlich zu einem ungesünderen Zugang zur Ernährung.

Ich hatte mal ein fünfzehnjähriges Mädchen bei mir, das abnehmen wollte, weil die in den Zeitungen "alle so schön" seien. Ich hab ihr dann gezeigt, was Zeitungen schon bei mir alles wegretouchieren. Ich bin teilweise schockiert, was die aufführen - größerer Busen, keine Sommersprossen und Leberflecken mehr, Falten sind auch weg. Und das nur bei einem Wochenmagazin in Österreich. Da kann man sich vorstellen, was bei einer Heidi Klum passiert oder bei Werbungen, die monatelang gezeigt werden und wo es um richtig viel Geld geht. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 13.7.2008)