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Foto: REUTERS/Arben Celi

Tirana - Albanien ist wohl das ärmste unter den postkommunistischen Ländern Osteuropas. Dieses Land hat sich die Caritas als Schwerpunktland für die heurige Osteuropasammlung ausgesucht.

Albaniens Dilemma: Die Strukturen der alten KP-Diktatur sind zerbrochen, neue demokratische Strukturen sind noch nicht voll entstanden. Den Preis dafür zahlen die Menschen.

Nirgendwo sieht man das so deutlich wie in der Hauptstadt Tirana, die in den letzten Jahren von 250.000 auf 700.000 Einwohner angeschwollen ist. In der Zeit des Diktators Enver Hodscha durfte niemand seinen Wohnsitz verlassen. Nach der Wende strömten infolgedessen aus den verarmten Bergdörfern Hunderttausende in die Hauptstadt, wo sich an der Peripherie nun kilometerweit Slums erstrecken. Es gibt weder Straßen noch Kanalisation, nur ein Kuddelmuddel von selbst gebauten Hütten. Einen Vertreter der Behörden, sagen die Bewohner, haben sie hier noch nie gesehen. Wohl aber den italienischen Salesianer Don Oreste, der hier gemeinsam mit der Caritas ein Jugendzentrum, Ausbildungsstätten und Hausbauten mit Nachbarschaftshilfe organisiert.

Zivilgesellschaft stärken

Es gehört zu den Arbeitsprinzipien der Caritas, im Ausland keine eigenen teuren Institutionen aufzubauen, sondern einheimische Initiativen zu unterstützen, die sich bewährt haben, und damit auch die Zivilgesellschaft im Land zu stärken. Dazu gehört ein Romaprojekt, von jungen albanischen Pädagogen gestartet. Sie betreuen Straßenkinder und haben es geschafft, die meisten Kinder aus einer völlig verwahrlosten Siedlung von der Straße weg und in die Schulen zu bringen. Aus analphabetischen kleinen Bettlern und Dieben sind stolze Schüler mit Zukunftsperspektive geworden.

Und dann sind da noch die Schwestern aus der Bergregion Fushe-Arrez. In dieser abgelegenen Gegend, in der die Blutrache noch ungeschriebenes Gesetz ist und unverheiratete Mütter mit dem Tod bedroht sind, kümmern sich zwei bayerische Franziskanerinnen, unterstützt von der Caritas, als Einzige weit und breit um die Menschen dort, vor allem um die Frauen.

Toughe Schwestern

In ihrer kleinen Sozialstation gibt es eine Ambulanz, einen Kindergarten, Kurse für Frauen, und immer wieder flüchten Frauen und Mädchen dorthin, die keinen anderen Ausweg mehr wissen. Erst unlängst hat eine junge Frau in Fushe-Arrez heimlich ihr Baby zur Welt gebracht. Schwester Gratias und Schwester Bernadette sind toughe Frauen, vor einiger Zeit wurde ihre Station überfallen, das Haus ausgeraubt, die Schwestern niedergeschlagen und gefesselt. Ob sie damals nicht daran gedacht hätten, die Gegend zu verlassen? Antwort: Nein, wir haben uns ein paar kräftige Leibwächter zugelegt.

Albanien ist ein Bergland, aber die Infrastruktur in den Bergregionen zerfällt langsam. Ins nächste Spital geht man sieben Stunden zu Fuß. Viele Dorfschulen sind nur noch Ruinen. In der Ortschaft Bize hat die Caritas eine größere Schule errichtet, die einzige Möglichkeit für die Kinder aus der Umgebung, eine Ausbildung zu bekommen. Die Idee dahinter: Wenn Albanien eine Chance hat, dann liegt sie bei der jungen Generation.

In diesen Tagen beginnen für das Drei-Millionen-Einwohner-Land die Assoziationsverhandlungen mit der Europäischen Union. Der Aufholbedarf ist gewaltig und die Hilfe bitter nötig, denn vielfach müssen die Helfer auch Aufgaben übernehmen, die in die Verantwortung des Staates fallen und dort einspringen, wo der Staat versagt. Die Caritas hat auch in Albanien einheimische Partner gefunden, die das können und die Spendengelder verlässlich dorthin leiten, wo sie nötig sind. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.2.2003)