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Schau, da war alles noch in bester Ordnung: Kanzler Schüssel reicht Alexander Van der Bellen bei den Sondierungsgesprächen ein grünes Apferl. Warum hat er nicht angebissen?

Foto: Reuters/Prammer

Bis vor wenigen Stunden existierte für die Grünen eine echte Chance, wieder zu einer Partei des Aufbruchs zu werden: unverbraucht, engagiert, mitreißend, voll Verantwortungsgefühl und Veränderungswillen. Hätte sich vernünftige Politik durchgesetzt statt symbolische, dann hätten auch die hochstilisierten Hürden Studiengebühren und Abfangjäger keine so große Rolle gespielt wie man sie ihnen zuletzt bis zum Überdruss beigemessen hat - als ob das Wohl und Wehe der Republik, sprich: ihre Zukunftsfähigkeit, von nichts anderem abhinge. Vielleicht kann irgendjemand den Grünen einmal vorrechnen, wie teuer ein Kindergartenplatz im Vergleich zu den Studiengebühren ist. Und zwar pro Monat, nicht pro Semester ...

Neue Perspektive

Noch nie hatte es jedenfalls eine bessere Perspektive für mehr Lebensqualität und Nachhaltigkeit gegeben. Seit Jahren war die Chance nie größer als jetzt, eine ökosoziale Steuerreform - Verteuerung des Ressourcenverbrauchs, Senkung der Arbeitskosten - anzugehen, Klimaschutz als Querschnittsmaterie vom Wohnbau bis zur Energiepolitik umzusetzen, endlich eine Verkehrs- und Transitpolitik zu machen, die diesen Namen verdient, ein Bundesnaturschutzgesetz zu beschließen und generell das Leitbild der Nachhaltigkeit zur Grundlage einer neuen, zukunftsfähigen Politik zu machen. Bleibt daher in diesem Zusammenhang nur zu hoffen, dass die ÖVP besagte Punkte trotz der gescheiterter Verhandlungen mit den Grünen - alleine oder mit wem auch immer - angeht, statt sie als vermeintliche Zuckerl für die Ökos wieder einmal zu schubladisieren.

Zum Scheitern selbst: Erst haben die Grünen lange nicht gewusst, ob sie wirklich regieren wollen sollen. Und kaum ist es "ernst" geworden, hat gleich die Angst vor der eigenen Courage - und der Funktionärsbasis - die Oberhand gewonnen. Nur leider sind diejenigen, die in der Schlussphase der Koalitionsgespräche besonders vehement ins mediale Rampenlicht drängten, noch meilenweit von der politischen Realität entfernt. Unreflektierte Abwehrreflexe gegenüber der Volkspartei haben der grünen Parteiführung um Van der Bellen und Glawischnig in den letzten Tagen das Leben wohl nicht gerade erleichtert.

Der "Schaum vor dem Mund" (Karl Danninger, OÖN, 8. 2. 03) war noch nie ein Indiz für überlegtes Handeln. Hätten diese Grünen ihre Sensoren näher bei ihren (potenziellen) Wählern, dann hätte es ohnehin keine 11 Wochen gedauert bis zum Beschluss, Verhandlungen überhaupt einmal aufzunehmen. Nein konnte man, so wie Sonntag früh, ja immer noch sagen - wenn auch die, die es zu sagen müssen glaubten, meiner Ansicht nach etwas vorschnell gehandelt haben.

Ironie der Geschichte

Auf der anderen Seite stand - und steht nun wohl erst recht - auch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel unter Druck: Mit den Grünen hätte er an einen inhaltlichen Kurs anknüpfen können, den seine Partei bereits mit Josef Riegler eingeschlagen hatte. Damals war es vielleicht noch zu früh, heute ist die Zeit mit Sicherheit reif dafür: Das Projekt des ökosozialen Umbaues unseres Finanz- und Steuersystems hat in jedem Fall - ob die Grünen nun Mitverantwortung tragen, oder nicht - oberste Priorität, weil Österreich in diesem auch für die Wirtschaft so wichtigen Punkt (Senkung der Lohnnebenkosten!) den Anschluss in Europa bereits lange verloren hat.

Offenbar aber war die Zeit der ernsthaften Gespräche zu kurz, um die in beiden Lagern bestehenden ideologischen Verengungen und Vorurteile abzubauen. Vielleicht aber war sie lang genug, dass manchet grüne Ideologie-Wächtern künftig klarer sieht, vor welchen Herausforderungen dieses Land steht.

Für frohlockende Kommentare und grüne Fundi-Freude besteht jedenfalls keinerlei Anlass. Und dass Schwarz-Grün, wenn man den zuletzt verbreiteten Meldungen vom Verhandlungsverlauf trauen darf, vor allem an der Pensionsreform scheiterte, kann angesichts des vergleichsweise jugendlichen Wählerklientels der Grünen nur als Treppenwitz der Geschichte aufgefasst werden. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.2.2003)