Hamburg - Die Erholungstendenz der Weltwirtschaft ist nach Ansicht des Chefs des Internationalen Währungsfonds (IWF) Horst Köhler, unterbrochen. In einem Interview der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" führte Köhler dies auf die große Unsicherheit, vor allem wegen eines möglichen Irak-Kriegs, zurück. Erst wenn diese Unsicherheiten beseitigt seien, werde es zu einem nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung kommen.

Die Unsicherheiten machten sich an den schwer zu kalkulierenden Ölpreisen bemerkbar, sagte Köhler. Das Vertrauen von Verbrauchern und Unternehmen in die wirtschaftliche Zukunft leide, und Finanzinvestoren warteten schlicht ab. Mit aller gebotenen Vorsicht wage er aber die Prognose, dass es nicht zu einer Weltrezession kommt, da die internationalen Finanzmärkte in den vergangenen Jahren ein erstaunlich hohes Maß an Widerstandskraft entwickelt hätten.

Drei-Prozent-Wachstum

Für die Weltwirtschaft insgesamt erwarte er in diesem Jahr ein reales Wirtschaftswachstum von gut 3 Prozent, etwas mehr als 2002. Langfristig traue er den USA die Rolle als Wachstumsmotor zu, vor allem wegen ihrer enormen Flexibilität und Innovationskraft.

In diesem Jahr werde der Wachstumsmotor Amerika aber wohl noch einige Monate stottern, so Köhler. In Europa seien die Wachstumsaussichten dennoch deutlich schlechter als in Amerika. Nach seiner Ansicht rede Europa viel, tue aber zuwenig, vor allem in den großen Ländern Deutschland, Frankreich und Italien. Die Arbeits- und Sozialkosten müssten gesenkt werden, die Steuern müssten runter, und es müsse ein investitionsfreundliches Klima geschaffen werden.

Dramatischer Lage Deutschlands

Der Direktor des Internationalen Währungsfonds, Horst Köhler, hat die deutsche Sozialpolitik scharf kritisiert. Die Probleme würden immer größer, aber den Menschen werde der Ernst der Lage verschwiegen, sagte Köhler laut einem Vorabbericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Deutschland sei dabei, seinen Wohlstand zu verspielen, warnte der ehemalige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Schuld daran sei nicht nur die jetzige Regierung. Schon vorher seien die Sozialsysteme trotz der mit der Wiedervereinigung verbundenen Sonderlasten großzügig ausgebaut worden.

"Die ungelösten Probleme, sei es bei den Renten oder im Gesundheitswesen, türmen sich immer höher auf", sagte der IWF-Chef. Niemand schenke der Bevölkerung reinen Wein über die wahre Lage ein. "Es fehlt der Wille zur schöpferischen Zerstörung sklerotischer Strukturen." Die Deutschen hätten das Bewusstsein verloren, "dass der Wohlstand täglich neu verteidigt werden muss".

"Falsch geploltes Anreizsystem"

Das Anreizsystem sei "falsch gepolt", meinte Köhler. Man verlasse sich auf kollektive Absicherung, wenn Schwierigkeiten auftauchten. Zunächst müsse jedoch jeder selbst Verantwortung für sich tragen. "In Deutschland geht es aber inzwischen vielen darum, möglichst viel aus dem System herauszuholen, das sie mit hohen Zwangsbeiträgen aufrechterhalten."

Köhler schlug vor, die Arbeits- und Sozialkosten sowie die Steuern zu senken. Zudem müsse ein investitionsfreundliches Klima geschaffen werden. Als "außerordentlich Besorgnis erregend" bezeichnete er den Zustand der Universitäten. Diese hätten den Anschluss an die Spitze längst verloren. (APA/dpa)