Rom - Wenn der Vatikan nun seine geheimen Akten über die Beziehungen zu Nazi-deutschland bis 1939 freigibt, werden schon viele Forscher die Einsicht beantragt haben. Sie haben die Hoffnung, auf Neuigkeiten zu stoßen. Der Vatikan spielt die Archivöffnung hingegen herunter, ist überzeugt, dass die vergilbten Papiere nichts wirklich Neues bieten.

"Die Öffnung ist keine Sensation", meint der Vatikan-Historiker Walter Brandmüller, "es ist eine Folge davon, dass man des ständigen Bohrens von bestimmter Seite her müde ist". Damit sind all jene gemeint, die der katholischen Kirche vorwerfen, den Nationalsozialismus nicht entschieden bekämpft und den Holocaust tatenlos hingenommen zu haben.

Wind aus den Segeln

Der Vatikan will mit der Öffnung des Archivmaterials aus der Zeit des Pontifikats von Papst Pius XI. (1922 bis 1939) den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen. Die Archivalien hätten nach den vatikanischen Gepflogenheiten erst 70 Jahre nach dem Tod von Pius XI. zugänglich gemacht werden sollen, also erst 2009. Im Mittelpunkt der Kritik steht aber nicht Pius XI., sondern dessen Nachfolger Pius XII.

Kein Papst der jüngeren Geschichte ist so umstritten wie er. Sein Pontifikat dauerte von 1939 bis 1958. Seine Gegner werfen ihm vor, mit dem Nationalsozialismus sympathisiert und die Judenverfolgung stillschweigend hingenommen zu haben. Die katholische Kirche behauptet das Gegenteil und hebt hervor, dass Pius XII. Tausenden Juden das Leben gerettet habe. Pius XII. soll in wenigen Jahren sogar selig gesprochen werden.

Das Archivmaterial, das auch die Bestände der Nuntiaturen in München und Berlin umfasst, dürfte die Haltung des Papstes vor seiner Wahl genauer dokumentieren. Zwischen 1922 und 1939 war er Nuntius in München und Berlin und von 1929 an Staatssekretär (Regierungschef) des Vatikans.

"Keine Überraschungen"

"Ich glaube nicht, dass die Dokumente Überraschungen bergen, sie werden eher die Kritik entkräften", glaubt Pater Peter Gumpel, der das Leben dieses Papstes seit Jahren durchleuchtet. Der Jesuit ist Untersuchungsrichter im Seligsprechungsprozess für Pius XII. und meint, dass dieser ein Nazigegner gewesen sei. Die vatikanische Haltung sei spätestens 1937 klar geworden, als Pius XI. in der Enzyklika "Mit brennender Sorge" die Rassenpolitik der Nazis verurteilte.

Dass der Vatikan damals auf öffentliche Kritik an den Nazis verzichtete, habe Gründe gehabt, betont Gumpel. Man sei besorgt gewesen, dass die Machthaber mit noch schärferer Repression hätten reagieren können. Es gibt nach Angaben des Paters Belege dafür, dass Pius XII. im Gegensatz zu der durch Rolf Hochhuts Stück Der Stellvertreter in den 60ern ins Rollen gebrachten Kritik ein Hitler-Gegner gewesen sei.

So hätten im Seligsprechungsverfahren Zeugen ausgesagt, dass Pius XII. sie schon 1929 vor Hitler gewarnt habe. Der Papst sei auch überzeugt gewesen, dass Hitler vom Teufel besessen sei; während des Krieges habe er mehrmals versucht, vom Vatikan aus durch exorzistische Rituale Hitler vom Teufel zu befreien. (dpa/DER STANDARD, Printausgabe, 15.2.2003)