In Michael Häupl keimte dieser Tage ein grausiger Verdacht. Wolfgang Schüssel steuere auf Neuwahlen zu, um bei dieser Gelegenheit die absolute Mehrheit zu erringen. Dieses Ziel beabsichtige die ÖVP dadurch zu erreichen, dass sie in der Wahlkampagne der SPÖ die Schuld am Scheitern der schwarz-roten Verhandlungen in die Schuhe schiebt.

Die Glaubwürdigkeit dieser Vermutung wird dadurch weder größer noch kleiner, dass die ÖVP sofort dementierte. Schließlich hat sie auch die Vermutung dementiert, Schüssel plane eine Minderheitsregierung, wie sie schon vieles dementiert hat, was sie dann in die Tat umsetzte. Wer den ewigen Gott in die Verfassung schummeln will, kann die Wahrheit leicht eine Tochter der Zeit sein lassen.

Viel interessanter ist, dass Häupls Äußerung verrät, wie sehr SPÖ-Spitzen noch immer in Duldungsstarre vor einem strategischen Genie Schüssel verharren und der Öffentlichkeit das Gefühl hilflosen Ausgeliefertseins an eine höhere Macht vermitteln, statt nach dessen zweimonatigem Herumtaumeln im Irrgarten möglicher Koalitionen allmählich in Erwägung zu ziehen, der Mann wisse einfach selber nicht so recht, was und wohin er wolle, und kaschiere diese Ratlosigkeit hinter der Maske des geheimnisumwitterten Schweigers.

Dass er die 42 Prozent vom 24. November 2002 gern bei nächster Gelegenheit auf mehr als 50 Prozent steigern möchte, ist kein spezifischer Verdacht, sondern eine Selbstverständlichkeit. Die SPÖ müsste aber selber schon sehr viel dazu beitragen, sollte es Schüssel gelingen, ausgerechnet ihr die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben, dass er mit keiner der drei Parteien eine Regierung zu bilden imstande war, obwohl er mit jeder von ihnen eine parlamentarische Mehrheit gehabt hätte. Wenn nach einem Scheitern der Verhandlungen auch mit den Grünen etwas definitiv beschädigt wäre, dann der Ruf des ÖVP-Obmannes, auf demokratischer Basis mit anderen Parteien konstruktiv kooperieren zu können.

Dass es damit schon vorher nicht zum Besten stand, zeigen ja Verlauf und tragikomisches Ende seines schwarz-blauen Experiments. Wenn die ÖVP einmal von diesem Scheitern profitieren konnte, so lässt sich das im selben Ausmaß nicht wiederholen. Die FPÖ müsste sich schon auflösen, soll Schüssel noch einmal substanziell von ihrem Wählerstock profitieren. Und dass er mit seinen bedingungslosen Sondierungen grüne und rote Wähler derart für sich eingenommen haben sollte, dass sie ihm in Scharen zuströmen würden, ist wenig wahrscheinlich.

Wo steht übrigens geschrieben, dass auf das Scheitern von Schüssels "Buffetspielen" (wieder Häupl) automatisch gleich Neuwahlen folgen müssen, wie das der Bürgermeister befürchtet (statt erhofft, wie man das in einer von reformfreudigem Optimismus durchspülten Partei eher erwarten sollte)? Zunächst müsste Wolfgang Schüssel einmal den Auftrag zur Regierungsbildung wegen Erfolglosigkeit zurücklegen, beziehungsweise er könnte ihm bei weiterer Verschleppung auch entzogen werden, worauf dem Bundespräsidenten einige Möglichkeiten offen stünden.

Auch wenn die Volkspartei den Wählern die demokratische Kompetenz absprechen will: Schüssel ist nicht von Gott gesandt, nur von 42 Prozent, und es kann auch jemand anderer Bundeskanzler sein. Das wissen wir übrigens von Schüssel, der 2000 dafür nicht einmal den Auftrag des Bundespräsidenten brauchte.

Und noch etwas hat er gelehrt, was Panik vor Neuwahlen dämpfen könnte: Nach dem schwarz-grünen Charmescharmützel kann Angstmacherei mit Rot-Grün kein Wahlkampftrumpf mehr sein. (DER STANDARD, Printausgabe, 15./16.2.2003)