Blenden wir zurück: Wer im vergangenen Sommer von Schwarz-Grün redete, geriet in den Verdacht eines Hitzeschlags. Nicht nur unter den Politikern, auch unter Journalisten gibt es jetzt im Februar nicht wenige, denen die Kälte die Erinnerung abgefroren hat. Wer voriges Jahr die nun ernsthaft verhandelte Koalition ins Spiel brachte, war ein Naivling, bestenfalls ein Romantiker. Das Hauptargument: Die Wähler würden eine solche Konstellation am 24. November nie und nimmer zulassen.

Genau das Gegenteil haben sie getan. Der Souverän ist nicht selten fantasiebegabter als alle Experten zusammen. Daher haben die Siebengescheiten von damals ihre eigenen Sager vergessen und präsentieren sich als Realisten von heute: Warum nicht Schwarz-Grün? Das lag doch in der Luft, das hat "Charme".

Dabei sollte man das Wahlergebnis nicht falsch interpretieren. Schwarz-Grün wurde von den Österreichern bloß ermöglicht, ebenso wie die Fortsetzung von Schwarz-Blau. Die bevorzugte Variante war jedoch eine große Koalition zwischen Schwarz und Rot. Und eindeutig ging aus dem Resultat hervor: Wolfgang Schüssel soll das Land führen, mit wem auch immer.

Nun scheint Schwarz-Rot vom Tisch, Schwarz-Blau wirkt irgendwie gruselig. Schwarz-Grün elektrisiert. Warum? Diese Koalition hätte vor allem den Vorteil, beim Großteil der Jugend, bei einer Mehrheit der Frauen und in den Bildungsschichten einen Optimismus zu erzeugen, den wir in ökonomisch schlechten Zeiten nötig hätten. Dazu käme ein positives Auslandsecho. Und vor allem zwei Möglichkeiten: eine vorsichtige ökologische Politik und die Chance griffiger Demokratiereformen. All das enthebt Schwarz-Grün nicht jener Aufgabe, der sich alle Regierungen unterziehen müssen - die Pensionen und das Gesundheitswesen zu sanieren sowie Schritte Richtung Grundsicherung zu tun.

Was spricht dagegen? Wenn es nicht gelingt, ein klares Regierungsprogramm zu formulieren, ist der Vertrauensvorschuss schnell verbraucht. Und wenn die Kompetenzen von Schlüsselministerien schwammig bleiben, ist Streit vorauszusehen. Dann gilt, was an der grünen Basis befürchtet wird: Grün würde nicht nur von der ÖVP verschluckt, sondern auch durch einen Dauerwirbel untergehen. Dass man mit einem mächtigen Partner bei Wahlen auch zulegen kann, haben die Grünen in Deutschland vorgezeigt. Joschka Fischer, Renate ^Künast und Jürgen Trittin sind zu Themenführern der deutschen Politik geworden. Das wirkt sich aus.

Daher sind für die Grünen zumindest zwei Bereiche besonders wichtig: ein starkes Umweltministerium und ein gut ausgestattetes Infrastrukturressort, das auch die Verkehrswege des Gehirns dirigiert. In diesem Fall wären Kompromisse bei Abfangjägern und Studiengebühren tolerierbar. Die ÖVP wiederum müsste für anspruchsvolle Investitionsanreize sorgen und die großen Reformen durchsetzen.

Schwarz-Grün würde außerdem für demokratiepolitische Spannung sorgen. Im Parlament gäbe es mit den Sozialdemokraten eine ausgeprägt starke Opposition, die Freiheitlichen müssten sich sowohl gegenüber der neuen Regierung als auch gegenüber der SPÖ behaupten.

Ob sich die nächste Legislaturperiode von den vergangenen unterscheidet, hängt weiters an zwei Fragen. Gelingt eine Bundesstaatsreform, die diesen Namen verdient? Und schafft man endlich ein Wahlrecht mit Mehrheits- und

Persönlichkeitskomponenten? Sowohl Frankreich als auch Deutschland könnten Vorbild sein.

Wenn man sich auf wirkliche Reformen nicht einigen kann, sollten die Grünen das Experiment verweigern. Ihre Basis ist an Futtertrögen nicht interessiert, sie will Veränderung. Die ÖVP müsste sich dann zwischen Knüppelfeld (FPÖ) und Nagelbrett (Minderheitsregierung) entscheiden. Beides würde ziemlich schnell zu Neuwahlen führen, die für Wolfgang Schüssel extrem riskant wären. (DERSTANDARD, Printausgabe, 15./16.01.2003)