In Zeiten von NATO-Spannungen schwärmen Politiker und Kommentatoren gerne von der Zeit, als Europa und Amerika stets Schulter an Schulter standen. Doch ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass heftige Gewitter über dem Atlantik so alt sind wie das Verteidigungsbündnis und manche Konflikte weit härter waren als der heutige Zwist um den Irak.

1956: SUEZKRISE

Der dramatischste transatlantische Konflikt begann im Sommer 1956, als der neue ägyptische Staatschef Gamal Abdel Nasser den britisch-französischen Suezkanals verstaatlichte und die sraelischen Schifffahrtswege blockierte. Im Oktober 1956 eroberte Israel die Sinai-Halbinsel, und britische und französische Truppen besetzten den Kanal. Die USA waren nicht informiert, und der mächtige Außenminister John Foster Dulles stellte sich mit diplomatischem und wirtschaftlichen Druck gegen die Verbündeten. Briten, Franzosen und Israelis wurden zum gezwungen, der Kanal blieb in ägyptischer Hand, und Paris und London mussten erkennen, dass sie als Weltmächte ausgespielt hatten.

1966: DE GAULLE

Seit seiner Wahl zum französischen Präsidenten 1958 verfolgte Charles de Gaulle die US-Führungsrolle in der Nato mit Misstrauen. Im März 1966 kündigte er den Rückzug seines Landes aus der integrierten Militärstruktur der Allianz an. Die Nato musste ihr Hauptquartier in Paris verlassen und nach Brüssel übersiedeln. Entgegen der Ankündigung von Präsident Jacques Chirac trat Frankreich bisher dem militärischen Planungsstab nicht wieder bei, ist aber weiterhin Mitglied der politischen Gremien.

1978: NEUTRONENBOMBE

US-Präsident Jimmy Carter und der deutsche Kanzler Helmut Schmidt misstrauten sich so wie heute George Bush und Gerhard Schröder. Hauptstreitpunkt war die Neutronenbombe, die im Kriegseinsatz zwar Menschen tötet, Gebäude aber stehen lässt. Unter Druck der Carter-Regierung stimmte Schmidt 1977 der Stationierung der umstrittenen Waffe zu und steckte dafür heftige Kritik zu Hause ein. Doch ein Jahr später gab Carter die Neutronenbombe plötzlich auf - und ließ den wütenden Schmidt im Regen stehen.

1982: GASPIPELINE

Die Drohungen der Reagan-Regierung gegen die Sowjetunion waren vielen Europäern suspekt wie heute die US-Irakpolitik. Diese wiederum wollte mit allen Mitteln verhindern, dass europäische Firmen beim Bau einer Mega-Pipeline mitmachen, die sowjetisches Erdgas nach Westeuropa bringen sollte. Washington kündigte 1982 ein Embargo gegen die beteiligten französischen, deutschen und italienischen Firmen an. Am Ende gaben die USA nach - die Europäer machten symbolische Zugeständnisse, die Pipeline wurde gebaut.

1983: NACHRÜSTUNG

Auf neue sowjetische Raketen vom Typ SS-20 reagierte die Nato 1979 mit ihrem Doppelbeschluss: Verhandlungen mit Moskau, und im Falle des Scheiterns Aufstellung von Pershing II-Raketen und Cruise Missiles. Dagegen regte sich in Europa, vor allem in Deutschland, breiter Widerstand. Die Demonstrationen der Friedensbewegung trugen zum Sturz der Schmidt-Regierung 1982 bei und setzten den neuen Kanzler Helmut Kohl unter Druck, als die Abrüstungsverhandlungen scheiterten. Dennoch stimmte der Bundestag im November 1983 für die Stationierung der US-Raketen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.2.2003