Sandra Gendera beschrieb die Lebensbedingungen osteuropäischer Pflegerinnen.
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Alles begann mit einer Annonce bei der polnischen Kirche am Wiener Rennweg. Sandra Gendera spürte über ihren ersten Kontakt weitere osteuropäische Pflegerinnen auf, die in österreichischen Privathaushalten anpacken. Die Sozialanthropologin begleitete neun Frauen einige Monate, rückte ihre Perspektive in den Mittelpunkt und gab so jenen ein Forum, die nur schwer für sich selbst sprechen können. Die interessanteste Erfahrung bei der Arbeit war, "dass mir vormals unbekannte Frauen in einer prekären Situation ihre persönlichen Gedanken und Wünsche anvertraut haben". Für die Qualität und die politische Relevanz ihrer Diplomarbeit erhielt die Forscherin Anfang 2008 einen Gabriele-Possanner-Förderpreis.

Chance auf internationale, wissenschaftliche Karriere

Vier Sprachen sowie die Offenheit, sich auf unbekannte Situationen, Menschen und Kulturen einzulassen, sind das Rüstzeug für ihre Tätigkeit in einem transnationalen "Care Space", welches sie bereits in ihrer Kindheit erwarb. Geboren in Sosnowice (Polen) flüchteten ihre Eltern Ende der 1970er-Jahre nach Waldshut (Deutschland) und wanderten später nach Accra (Ghana) aus. Die 30-Jährige studierte in Krakau, Wien und Paris. Mit dem Preisgeld verwirklicht sie sich als Forschungsassistentin an der University of New South Wales in Sydney (Australien) gerade die Chance auf eine internationale, wissenschaftliche Karriere. Denn nach längerem Aufenthalt an einem Ort, wächst stets ihre innere Unruhe, und dann stellt sie sich neuen Herausforderungen - inzwischen auf ihrem dritten Kontinent. Reisen und Kino sind ihre großen Leidenschaften, sie verbringt aber auch gern Zeit in der Natur, beim Laufen oder Wandern.

Selbstorganisation der Migrantinnen fördern

Als Kind verschwieg sie oft ihre Herkunft, um das Stigma des "armen Flüchtlingskinds aus dem Osten" loszuwerden. Ihre eigene Erfahrung zeigt, "welche relationale Rolle die Aufnahmegesellschaft bei der Identitätsfindung von Migrantinnen spielt", so Gendera. Der österreichischen Gesellschaft attestiert sie eine deutliche Tendenz zur Realitätsverweigerung im Umgang mit Migration.

Das Gesamtpaket der Empfehlungen auf Basis ihrer Arbeit werde nur zögerlich umgesetzt, urteilt Gendera. Der Großteil der Langzeitpflege und Betreuung wird unbezahlt in der Familie und von Frauen geleistet. Pflegende Angehörige sollten bei ihrer Arbeit unterstützt, geschult und informiert werden. Außerdem gilt es, die Selbstorganisation der Migrantinnen zu fördern, gekoppelt mit Kampagnen, die über aktuelle gesetzliche Bestimmungen, soziale und berufliche Belange informieren. Die Anerkennung ihrer Ausbildung wäre so wichtig wie die Möglichkeit zum Spracherwerb.

Wider eine Delegierung von Versorgungsarbeit

Die bisherige Organisation von Pflegeleistungen über Vereine und Agenturen macht die Betroffenen eher abhängig. Die befragten Frauen fühlten sich finanziell ausgebeutet und schlecht betreut. Das übergeordnete Ziel einer Reform im Pflegebereich wäre, "die Gesellschaft als Ganzes, auch Männer und die öffentliche Hand stärker in die Verantwortung zu nehmen", betont Sandra Gendera. Auch wenn Frauen heute in Arbeitsleben, Wirtschaft und Politik hierzulande präsenter sind, ist Gleichberechtigung noch nicht erreicht: "Durch die Delegierung von Versorgungsarbeit an Migrantinnen wird die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Haushalt fortgesetzt, wodurch neue Ungleichheiten unter Frauen erzeugt werden, die entlang von Einkommen, Ausbildung, Ethnizität und Nationalität verlaufen", so das etwas resignierte Resümee der Forscherin. (Astrid Kuffner/DER STANDARD, Printausgabe 09.04.2008)