untortnung.net
Johanna Tinzl

Außer viel Himmel, dem Projektbaumarkt Hornbach und einem leer stehenden Tröpferlbad hat die Gegend zwischen Kagran und Stadlau im 22. Wiener Gemeindebezirk wirklich nicht sehr viel zu bieten. Wahrscheinlich hat Frau Binder, ehemalige Besitzerin des "Samen- & Hobbystands" am dort befindlichen Genochmarkt genau deshalb vor 15 Jahren ihr Geschäft aufgelassen.

Vergangenes Wochenende wurde aber ihr Kleinhandel, gemeinsam mit sechs weiteren Marktständen, bei der dritten Ausgabe des Kunstprojekts unORTnung wiederbelebt. Den Initiatorinnen Andrea Maria Krenn und Veronika Barnas zufolge wurde das Marktgebiet - ein "Nichtort", der einst als Sammelstelle für Wasser fungierte - durch künstlerische, architektonische und soziale Interventionen "im Recyclingverfahren zurückerobert und zu seiner ursprünglichen kulturellen Bestimmung zurückgeführt".

Objekte, Ready-mades und soziale Konstruktionen

Frau Binder hätte sich beim Anblick Bernadette Reiters dokumentarischer Fotoarbeiten 15 Jahre Treue in ihrem Stand gefreut. Die Künstlerin hat vorhandene Schriftzüge, Plakate und grafische Elemente fotografiert, einzelne Details vergrößert und vervielfacht und auf diese Weise dem "Hobby- & Samenstand" als erneuertes Gedächtnis zurückgegeben.

Ähnlich sind viele der am Projekt beteiligten KünstlerInnen bei der Bearbeitung der Architektur des Genochmarkts und der Fülle der dort befindlichen Objekte vorgegangen. Gerald Rossbacher etwa hat mit seiner Lichtinstallation hidden geometry Leuchtröhren dazu benutzt, um - wie der Titel bereits sagt - versteckte Geometrien und Architekturen "ans Licht" zu bringen. Die Wandzeichnungen Hinterzimmer von Marianne Lang reflektierten die verlassene und zum Teil recht skurril wirkende Innnearchitektur des "Asia Point" mit der Konstruktion einer "linearen" Welt, die die vorgefundene Realität auf den Fliesenwänden durch Edding-Zeichnungen jedoch nur scheinbar widerzuspiegeln vermochte. Veronika Schuberts dezente schriftliche Interventionen waren auf den Hüttenwänden am gesamten Marktgebiet verteilt: Mit Floskeln wie "Darf's noch etwas mehr sein?" brachte die in Bregenz geborene Künstlerin Fragen des Kunstmarktes auf den sprichwörtlichen Ladentisch.

Der Kunstmarkt mit seiner zeitlichen Dimension und marktwirtschaftlichen Bedeutung war nur eine Facette der Arbeit Ökonomie der Zeit von Johanna Tinzl und Stefan Flunger, die in erster Linie durch ihre Absenz am bunten Markttreiben ins Auge fiel: Das Wort "WAREN" wurde von dem aus Tirol stammenden Duo in überdimensionierten Lettern auf die Dächer der Marktstände geschrieben. "Unsere Kunst entzieht sich dem Publikum und versperrt sich dadurch gleichzeitig dem Kunstmarkt", so Johanna Tinzl über ihre typografische Intervention, die eine Fortführung der 2006 begonnenen Arbeit Juto-Sutra in Bosnien und Herzegowina darstellt: "Mit der Mehrdeutigkeit des Wortes 'WAREN' nehmen wir einerseits auf den zeitlichen Kontext der Stände des Genochmarkts Bezug, andererseits wollen wir die Idee einer Kunst im öffentlichen Raum durch die 'Unischtbarkeit' bzw. den erschwerten Zugang zum Kunstwerk selbst radikalisieren." Das Duo spannt mit der Ökonomie der Zeit einen breiten Bogen von - im positivsten Sinn - strukturverliebter Sprachbeobachtung hin zur globalen Rekonstruktion dieser Mechanismen auf gesellschaftspolitischer Ebene.

Den Zugang zum Kunstwerk von tinzl/fluger, wie sich das Duo auch nennt, erleichterte dann aber trotz Platzierung am "Unort" Häuserdach im "Nichtort" Genochmarkt eine architektonische Erweiterung des Areals mit dem Titel Genochmal von Markus Grader und Stephan Uggowitzer. Eine organische Holzkonstruktion, die sich über die Dächer der Marktstände hinwegschlängelte, erlaubte den BesucherInnen "auf eigene Gefahr" das sonntägliche Treiben aus einem distanzierten Blickwinkel zu beobachten und gleichzeitig jene in den Hütten begonnen Gedanken der KünstlerInnen fortzuführen, diese mit dem freien Himmel über dem Kopf einfach zu verwerfen oder sich auf die vierte unORTnung zu freuen.

Es grüßt Sie herzlich Ihre Frau Binder.

(fair, derStandard.at/07.04.2008)