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Michael Walchhofer in Siegespose

Foto:Reuters/Foeger

Benno Zelsacher aus St. Moritz

Sie musste es einfach tun. Also gab ihm die freundliche Dame, als heraußen war, um wen es sich handelt, einen Kuss. Er, das war der Abfahrtsski des Didier Cuche. Mit ihm, der Dame und Cuchens Servicemann ist man mit dem Sessellift die Corviglia hinaufgefahren. Cuche verpasste als Vierter nicht nur das Podium um 16 Hundertstel, zum Überdruss misslang ihm auch noch sein obligater Jongliertrick mit dem offenbar irritierten Ski, statt in Cuchens starker Hand landete der nach drei Salti im Schnee.

Michael Walchhofer trickste an diesem Tag am besten. Die Vermutung, dass man die scharfe Linkskurve, deren ideale Bewältigung sich im Schwung der folgenden Kurven ausgewirkt hat, etwas anbremsen muss, stellte sich als richtig heraus, wie Walchhofer und Abfahrtscoach Robert Trenkwalder bestätigten. Das ist wie beim Gokartfahren. Lieber ein bisserl langsamer hinein in die Kurve, denn die entscheidende Zeit bleibt im Ausgang liegen.

Walchhofer, darin war sich die Konkurrenz einig, ist ein würdiger Weltmeister, einer nach dem anderen gratulierte herzlich, auch Topfavorit Stephan Eberharter (5.), Hermann Maier (8.), Fritz Strobl (10.) und der entthronte Titelverteidiger Hannes Trinkl (31.), dessen Ski an diesem Tag die Prinzessin fehlte, die ihn vielleicht kussmäßig hätte verzaubern könnte. Eberharters Enttäuschung hielt sich in Grenzen, die Super-G-Goldene hat er ja im Sack, Maier, der sich in dieser Übung Silber nahm, richtet seinen Blick schon auf die nächste Saison. Vor dieser gilt es noch den 37 Zentimeter langen Titannagel aus dem Bein zu entfernen.

"Der Hermann", sagt Walchhofer, "ist ein guter Kollege." Schließlich habe ihn der auf den Weg gebracht. Seit Jahren stählen die beiden ihre Muskeln im Olympiastützpunkt Obertauern, "und Hermann hat mir gezeigt, dass es nur mit hartem Training geht."

Weltmeister

Walchhofer ist ein gelassener Weltmeister. Mit öffentlichen Küssen geht er sparsam um. Mit dem nationalen Element auch. "Ich habe für mich gewonnen." Zum ersten Mal in seiner Karriere, denn der Hahnenkammsieg in Kitzbühel resultierte, man muss es sagen, aus zwei mittelmäßigen Ergebnissen. Viermal war der Zauchenseer heuer Abfahrtszweiter, weshalb nicht nur er selbst sich auf der WM-Rechnung hatte. "Ein bisserl als Favorit hab' ich mich schon gesehen, eine Medaille war ja wirklich locker drin." Schon während der Fahrt habe er überlegt, wie er den Jubel im Ziel anlegen solle. Er fiel kusslos aus.

Walchhofer, verheiratet mit Barbara, Vater der neun Monate alten Hannah, die es bald einmal sehr witzig finden wird, dass sich ihr Name von vorne und hinten gleich liest, Chef des Hotel Zentral am Zauchensee - den Zauchenseehof führt der Vater - ist nicht als Hotelier auf die Welt gekommen, sondern als jüngstes von sechs Kindern. "Ich hab' mich immer viel mehr als Bauernbub gefühlt, das hat mich geprägt." Die Eltern besitzen eine Landwirtschaft in Altenmarkt. Walchhofer: "Eigentlich wollte ich Landwirt werden. Die Rindviecher haben mir immer schon getaugt." Sein Fanklub führt einen Stier im Emblem.

Wie jeder Zauchenseer übte er sich früh im Skilauf, vorzüglich im freien Gelände und im Wald, er sieht's mit Recht als ideale Ausbildung für einen Abfahrer. "Ich wurde nicht besonders gefördert als sechstes Kind." Mit Torstangen bekam er erst als Achtjähriger zu tun. Und den Weltcup betrat er als Slalomläufer. Prinzipiell gehört Wachhofer der Technikertrainingsgruppe des Gert Ehn an. "Ich möchte auch in dieser Disziplin am Drücker bleiben. Das schadet mir für die Abfahrt nicht."

Weltrekordler

Der Norweger Kjetil-Andre Aamodt frönte wie üblich seiner Sammelleidenschaft. Seine zwölfte WM-Medaille bedeutet alleinigen Weltrekord, Lasse Kjus und Marc Girardelli hat er um ein Stück abgehängt, gemeinsam mit Olympia hält er bei 19 Medaillen. "Sie waren auf Goldkurs, was passierte dann?", frug ihn einer. "Ich nahm den Silberkurs. Schlecht gefahren. Ich entschuldige mich bei meinem Servicemann." (DER STANDARD, Printausgabe, 10.02.2003)