Wie jedes Jahr um diese Zeit, wenn für Zehntausende Jugendliche und deren Eltern die Suche nach einer Lehrstelle beginnt, zeigt sich die Krise, in der das Lehrsystem steckt: Es gibt nicht (mehr) genügend Lehrstellen, die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage wird immer größer. Einige Tausend Jugendliche bleiben so ohne Lehre und sind mangels Ausbildung auch in späteren Jahren von Arbeitslosigkeit stärker bedroht.

Das Fördersystem, das sich seit einigen Jahren über die Lehrstellenlücke ergießt, hat den Nachteil, der vielen Förderungen gemeinsam ist: Es fördert alle, da praktisch nicht festzustellen ist, wer einer Förderung bedarf und wer nicht. Damit wird es teuer und ineffizient - die Ergebnisse sprechen für sich, da trotz Aufwendungen in Höhe von mindestens hundert Millionen Euro die Zahl der fehlenden Lehrstellen größer wird.

Dazu kommt, dass sich der Staat dabei selbst konkurriert: Einerseits fördert er Lehrstellen, andererseits unterhält er in Form der berufsbildenden mittleren Schulen eine eigene Lehrausbildung. Die Konkurrenz ist unfair, da Absolventen ihre Schulen mit mehreren Berufsberechtigungen und damit besseren Stellenaussichten beenden als ihre Kolleginnen und Kollegen, die mit der Lehre gerade eine Berufsberechtigung erwerben.

Dabei ist die Lehre als Ausbildungsweg durchaus erhaltenswert: Nicht wenige Jugendliche haben nach neun Jahren Schule die Nase voll und suchen nach lebensnäheren Betätigungen; und in vielen Bereichen ist wahrscheinlich die Praxis der bessere Lehrmeister als die Schule.

Aber Staat und Wirtschaft müssen sich entscheiden, ob sie dieses System weiterhin wollen: Viele Betriebe - vor allem größere Industriebetriebe - haben im Zuge ihrer Einsparungsprogramme der vergangenen Jahre bei der Lehrausbildung gespart und nehmen bei Bedarf lieber Schulabsolventen oder Fachkräfte, die in anderen Betrieben ausgelernt haben. Wenn es seitens der Wirtschaft keine messbare Selbstverpflichtung gibt, die duale Berufsausbildung (Lehre und Berufsschule) tatsächlich erhalten zu wollen, dann hat der Staat im Interesse der Jugendlichen die Verpflichtung, seinerseits Ausbildungen zu gewährleisten. Diese Klarheit muss geschaffen werden. Ein Bonus-Malus-System, mit dem ein Bekenntnis zur Lehre auch einen materiellen Niederschlag findet, wäre ein guter Start dazu. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 7.2.2003)