Selbsthilfegruppen in ländlichen Gebieten sind meist ökonomisch begründet. Die Treffen in der Gruppe organisieren ansonsten vereinzelte Frauen aber auch und befähigen sie zu mehr Entscheidungsmöglichkeiten, meinen NGOs im Sozial- und Bildungsbereich.
Foto: Angelika Kampfer

Foto: KFB/Angelika Kampfer

Es ist eine Erfolgsgeschichte wie sie im Buche steht: Ausgehend von Bangladesch, wo der Ökonom Muhammad Yunus das Konzept der Mikrokredite entwickelte, avancierte das System in den 1990ern zur Hoffnungsstrategie der Entwicklungarbeit und gipfelte im Jahr 2006 mit der Verleihung des Friedensnobelpreis an Muhammad Yunus und seiner Grameen Bank für "die wirtschaftliche und soziale Entwicklung von unten".

Die Idee, Armen in Entwicklungsländern via Kleinstkrediten unter die Arme zu greifen, wurde zudem von den Vereinten Nationen als zentrales Instrument zur Erreichung der Milleniumsziele definiert. So verwundert es auch nicht, dass zahlreiche Entwicklungsländer, allen voran Bangladesch und der Subkontinent Indien, zentrale Bereiche ihrer Entwicklungsarbeit auf diesen Bereich ausgerichtet haben.

Organisation

Das Prinzip funktioniert in sämtlichen Entwickungsländern im Osten ähnlich: In kleinen Gruppen von durchschnittlich 10-20 Leuten, sogenannten Selbsthilfegruppen (SHGs), sammeln sozial Schwache kleine Geldsummen an. Durch das Sparen sollen sie den Umgang mit Geld lernen und auch das Vertrauen, es wegzugeben. Die gemeinsame Sparsumme dient wiederum als Sicherheit für die Bank, den einzelnen Mitgliedern Kleinstkredite zu vergeben.

Der Vorteil für beide Seiten liegt auf der Hand: Durch das Mikrokreditsystem erhalten Arme erstmals in ihrem Leben Zugang zum Geldwesen, denn das Sparen in der Gruppe ermöglicht ihnen die lange verwehrte Kreditwürdigkeit. Im besten Fall erhalten sie das nötige Startkapital, um Investitionen zu machen und ihre Lebenssituation nachhaltig zu verbessern. Die Banken profitieren von den Zinsen, die zum Teil beträchtlich ausfallen, wie auch von der staatlichen Förderung von Mikrokrediten. 2005 zählte man allein in Indien über eine Million Selbsthilfegruppen mit rund 16 Millionen Mitgliedern, größtenteils Frauen.

Hauptzielgruppe Frauen

Letztere sind die Hauptzielgruppe bei der Bestückung mit Kleinstkrediten in einem entwicklungspolitischen Kontext. Sie werden zum einen als vertrauenswürdiger und kreditwürdiger als Männer erachtet, zum anderen soll ihnen der Beitrag zum Familieneinkommen ein höheres Ansehen in der Familie verschaffen.

Im Zuge der entwicklungspolitischen Schwerpunktsetzung seit den 1980ern ist in Indien genau wie in anderen Gebieten Asiens ein prosperierender Markt mit Mikro-Krediten entstanden. Die indische Regierung ist zwar mit potenten Akteuren wie etwa der 1981 gegründeten "National Bank of Agriculture and Rural Developement" (NABARD) oder auch der "State Bank of India", die seit Mitte der 1970er Mikro-Kredite an Arme vergibt, an der Entwicklung beteiligt, doch die Hauptakteure sind nationale und internationale NGOs und Finanzunternehmen, die zu unterschiedlichsten Konditionen Kleinstkredite vergeben.

Zweifel an Mittel zur Armutsbekämpfung

Trotz des weltweiten Siegeszugs von Mikrokrediten in der Entwicklungsarbeit werden die Stimmen immer lauter, die die nachhaltige Wirkung von Krediten zur Armutsbekämpfung bezweifeln. Selbst die Weltbank, eine der vehementesten Befürworterinnen von Mikrokrediten, hat in mehreren Studien darauf hingewiesen, dass Mikrofinanzierung nicht die einzige Säule von Armutsbekämpfung sein kann.

Frauenaktivistinnen bemängeln, dass die Hauptlast der Kreditrückzahlung bei Frauen liegen würde - 90 Prozent der SHG-Mitglieder sind Frauen. Die Rückzahlquote ist aufgrund des hohen sozialen Drucks in den Selbsthilfegruppen aber hoch.

Mikroansatz lässt Rahmenbedingungen unberührt

Der Fokus auf die Mikro-Ebene würde Frauen im besten Fall zwar Raum innerhalb der Familie und der Dorfgemeinde schaffen, stellt die indische Frauenrechtsgruppe Nirantar fest. Jedoch könne er nichts an den makro-ökonomischen Strukturen ändern oder einen gesellschaftstransformatorischen Rahmen entwerfen.

Sie bemängeln außerdem, dass Selbsthilfegruppen von Regierungsstellen dafür benützt werden, um Gesundheits- und Bildungsaufgaben zu übernehmen, und das, obwohl sie kaum in die Entscheidungsprozesse eingebunden sind.

Auch die Vorstellung, ein Kleinstkredit würde ausreichen, um Menschen aus ihrer umfassenden Armut zu befreien, wird zunehmend als "Ideologie" enttarnt: "Innerhalb des bestehenden ökonomischen Paradigmas ist dies unmöglich", so Nirantar. Mikrokredite seien oft Lobby-Aktionen für Staaten, um sich von ihrer Pflicht zu nachhaltiger Entwicklungs- und Wohlfahrtspolitik zu entlassen.

Nicht zuletzt sei das Menschenbild, das diesen Ansatz prägt, sehr eindimensional, wie Eva Wallensteiner, Projektreferentin der Katholischen Frauenbewegung in Indien, betont: "Mikrokredit bedeutet in den meisten Fällen ja Kleinstunternehmensgründung. Aber sind wir alle Händlerinnen und Händler? Haben alle Spaß am Handeln?"

Markt der Armen

Das Sparen in Selbsthilfegruppen trägt nur dann sinnvoll zur Armutsbekämpfung bei, wenn es inhaltlich stark begleitet wird, darin sind sich EntwicklungsarbeiterInnen einig. Ansonsten würden vor allem Banken, internationale Geldgeber und NGOs von der "Integration der Armen in die Geldwirtschaft profitieren", resümiert etwa die Entwicklungstheoretikerin Edda Kirleis.

Der Markt der Armen ist vor allem wegen seiner Massenhaftigkeit und der Möglichkeit der Produktstandardisierung für Finanzunternehmen attraktiv. Schließlich gibt es auch in den Industrienationen Arme, die geliehenes Geld gut gebrauchen könnten: Für die Geschäftsmodelle von morgen dienen den großen Volksbanken im Westen die "Erfolgsmodelle" aus Indien und Bangladesch als Vorbild. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 6.3.2008)